Todesbraut
kataloghafte Leblosigkeit klaffen ließ.
Frau Völker lächelte dünn, dann drückte sie ein paar Knöpfe auf einem kompliziert aussehenden Anrufbeantworter. »Ich habe die Nachricht erst am späteren Vormittag abgehört.«
»Alte Nachricht, heute, 7.20 Uhr«, verkündete die Blechstimme. Dann piepte es digital und man hörte ein Rauschen und Kramen. Schließlich war eine Mädchenstimme zu hören, ein wenig schüchtern, als spräche sie nur selten auf einen AB. »Azad kommt heute nicht zum Fußball. Soll ich von meiner Mutter ausrichten. Ach ja, hier spricht Roza, seine Schwester.« Sie klang jünger als sechzehn und sprach mit leichtem Akzent, Unruhe war ihr nicht anzumerken.
»War Frau Talabani um diese Zeit schon tot?«, fragte Karsten Völker, nachdem die Aufnahme durch ein erneutes Piepen beendet war. »Ich frage mich nämlich, was die Kinder mitgekriegt haben. Einerseits klingt alles so normal, andererseits muss es ja einen Grund geben, warum sie um diese Uhrzeit schon wussten, dass Azad nicht zum Fußball kommen wird. Das passt doch nicht …«
»Vielleicht hat ihre Mutter schon am Abend gesagt, dass das Training ausfallen muss«, überlegte Wencke. »Aber warum hat sie dann nicht selbst bei Ihnen angerufen?«
»Ich habe meinen Fußballkindern gesagt, nach acht Uhr abends ist Schluss mit anrufen. Sie ahnen ja nicht, wie oft hier das Telefon klingelt, weil irgendjemand irgendwas hat oder wissen will. Und meine Frau und ich brauchen auch einmal unseren Feierabend, bei aller Liebe.«
»Welchen Verein trainieren Sie?«
»Die Kreisklassen-U 8-Jugend des Forte Hannover.«
»Warum war Azad denn in einer Hannoveraner Mannschaft?Er hätte doch auch in seinem Heimatort Wunstorf spielen können.«
»Aus alter Verbundenheit. Als er noch in Hannover lebte, war er bei meinen Forte-Knirpsen. Eine Vorschulmannschaft, eher Spaß als richtiges Spiel. Aber er hat durchaus Talent und Ehrgeiz gezeigt, deswegen sind wir ganz froh, dass er uns auch nach seinem Umzug treu geblieben ist. Zudem sind in unserem Verein sehr viele kurdische Kinder, das mag auch ein Grund gewesen sein.«
»Dann kennen Sie die Familie Talabani ja schon recht lange …«
»Sogar die Tochter Roza hat bei mir trainiert.«
»Tatsächlich?«
»Sie war gar nicht schlecht, Abwehr, es hat nicht viel gefehlt, und ich hätte sie rechtsaußen eingesetzt.«
Man merkte Karsten Völker an, dass er in seinem Element war. Doch je mehr der Feuereifer in seinem Gesicht leuchtete, desto düsterer wurde die Miene seiner Frau. Wencke ahnte, das Thema Fußball hatte etwas mit dem schlechten Klima in diesem Haus zu tun.
»Und dann?«
»Leider hat Roza sich nach ihrem schrecklichen Unfall sehr verändert. Schleier und Rock, da passt Fußball natürlich nicht mehr.« Völker hob die Achseln. »Aber nun würde mich einmal interessieren, warum das LKA sich eingeschaltet hat.«
Wencke nahm einen Schluck Kaffee, um Zeit zu gewinnen. Ihr hätte klar sein müssen, dass ein Polizist ihr Auftauchen kritischer beobachten würde als eine Grundschullehrerin. »Ich beschäftige mich derzeit mit Verbrechen dieser Art.«
»3. Dezernat? Waterlooplatz?«
»Genau.«
»Ich habe schon ein- oder zweimal mit Ihrer Kollegin, Frau Kosian, zusammengearbeitet. Ein interessanter Ansatz, dieseOperative Fallanalyse, OFA sagen wir.« Er lachte kurz. »Reimt sich auf Sofa, spotten manche. Ich dachte bislang auch, ihr macht eure Arbeit in erster Linie bequem im Sitzen, bei einer Tasse Kräutertee natürlich. Aber Sie scheinen ja ein bisschen aktiver zu sein.«
Es wurde brenzlig. »Eher eine Ausnahme. Der alte Fall von damals, wissen Sie …« Wencke schielte zur schick verchromten Wanduhr. In dreißig Minuten musste sie in Tilda Kosians Büro sitzen, selbst wenn hier vielleicht noch ein oder zwei Fragen offen blieben, es war höchste Zeit, zu gehen. Der Tag rauschte ohnehin wie auf einer Schnellstraße an ihr vorbei. »Dürfte ich vor meinem Aufbruch einmal Ihre Toilette benutzen?«
Frau Völker zeigte wortlos auf eine Tür mit Pinkelmännchen aus Kupfer, und wie Wencke erwartet hatte, roch es dahinter nach allem möglichen, nur nicht nach Klo. Die Handtücher waren flauschig, das Toilettenpapier zu einem Dreieck gefaltet, der Spiegel frei von Wasserflecken. Aber die Türklinke war locker, als Wencke danach griff, hörte sie draußen etwas zu Boden fallen und hielt ein Stück geschwungenes Messing in der Hand.
Sie klopfte gegen die Tür. »Mir ist ein Malheur passiert!
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