Todesbrut
Respekt vor dem Leben der Tiere hat, hat auch keinen vor dem der Menschen. Die bringen uns alle um. Die fackeln den Laden ab und schießen auf alles, was von hier fliehen will. Denen ist es völlig egal, ob sie ein Huhn umlegen oder einen von uns.«
Das war der Akki, den Tim mochte. Der Akki, in den Josy sich verliebt hatte. Der Akki, der brave Gymnasiastinnen aus gutem Haus dazu brachte, von daheim wegzulaufen, die Konten ihrer Väter zu plündern und sich den Tierbefreiern anzuschließen.
Josy hatte Tim in den Sessel gesetzt, oder besser gesagt, dort abgeladen. Aber der gravitätische Sessel kam Tim unangemessen vor. Jetzt, da alle solche Aktivitäten entfalteten, spürte er sein Handicap noch viel mehr als im normalen Alltag.
Er hatte sich langsam auf den Boden rutschen lassen. Mit dem rechten Arm stützte er sich auf der Sitzfläche des Sessels ab und sagte: »Wir müssen hier weg. Wir können uns hier nicht verteidigen.«
Josy fauchte ihn an: »Was hast du vor?« In ihrem Blick lag der Vorwurf: Verräter. Sie sagte es nicht, aber sie dachte es, das spürte er genau. Trotzdem antwortete er, auch auf die Gefahr hin, ihr damit nicht zu gefallen: »Wir sollten weiße Fahnen hissen und uns ergeben. Das sind nicht irgendwelche Schwerverbrecher, sondern Leute, die Angst haben und verblendet sind. Sie glauben, dass hier die Wurzel allen Übels liegt, und sie wollen das Übel ausrotten, um sich und andere zu retten.«
»Na klasse, jetzt erzählst du schon die gleiche Scheiße wie die!«, brüllte sein Vater. »Jeder Idiot, der das Fernsehen einschaltet, weiß, dass das Virus nicht von hier kommt, sondern aus den Vereinigten Staaten!«
»Es heißt Vogelgrippe. Es kommt von Vögeln. Die Menschen sind nicht blöd, Papa. Auch wenn dies die sauberste Hühnerfarm aller Zeiten ist, für die da draußen ist sie, unsere ganze Existenz, eine einzige Bedrohung.«
Ubbo Jansen schüttelte den Kopf. »Ich werde nicht mit einer weißen Fahne rausgehen. Wieso sind das keine Verbrecher? Die schießen auch auf uns! Und die Typen davor, die hätten mich fast umgebracht. Das sind keine netten, jungen Leute, die sich bloß Sorgen machen.« Er schlug sich mit der flachen Hand gegen die Stirn. »Das sind Krawallmacher. Randalierer. Denen ist es doch völlig egal, gegen wen sie sich wenden, Hauptsache, sie haben einen, den sie bekämpfen können. Dann fühlen sie sich gut. Gestern sind sie gegen Ausländer losgezogen und heute eben gegen uns!«
Die große Wohnzimmerscheibe zersplitterte. Ein Scherbenregen prasselte nach innen.
Akki sprang vom Tisch. Es sah für Ubbo Jansen so aus, als sei er von einer Kugel getroffen worden. In Wirklichkeit suchte Akki nur Schutz unterm Tisch, weil er befürchtete, sonst ein gutes Ziel abzugeben. Aus seiner Deckung heraus sprach er weiter ins Telefon: »Die schießen auf uns, hast du das gehört? Man hat uns ewig vorgeworfen, dass wir militante Tierschützer seien. Jetzt können wir zeigen, was wir draufhaben. Jetzt oder nie! Bringt Feuerlöscher mit!«
»Ich muss trotzdem in den Hof«, sagte Ubbo Jansen, »bevor die Flammen auf den letzten Stall übergreifen.«
»Wir können das nicht verhindern, Papa. Wir können nur unser eigenes Leben retten«, beschwor Tim seinen Vater.
Josy bückte sich und kroch zu Akki unter den Tisch. Auf dem Teppich lagen lange Scherben, wie abgebrochene Messerklingen.
Die Küstenseeschwalbe ging seelenruhig zwischen den Splittern spazieren, direkt auf Ubbo Jansen zu. Der hielt einen Augenblick inne und sah das Tier an. Der Vogel machte »Kiu«. Ubbo Jansen nickte, als habe er von der Küstenseeschwalbe die Bestätigung für seine Ansichten erhalten.
Josy begann, mit spitzen Fingern Scherben einzusammeln. Dann brachte sie sie zum Papierkorb.
Fehlt nur noch, dass sie den Staubsauger holt, dachte Tim. Was ist los mit ihr? Bricht jetzt die Hausfrau in ihr durch?
»Lasst uns versuchen, die restlichen Hühner zu retten, bevor das Feuer sie holt«, forderte Josy.
»Sie hätten hier Sprenkler einbauen müssen«, schimpfte Akki vorwurfsvoll. »Diese ganze Anlage entspricht überhaupt nicht den Anforderungen. Sie haben weder an die Sicherheit der Tiere gedacht noch an deren Wohlbefinden.«
»Ja, danke. Können wir diese Diskussion vielleicht auf später verschieben?«, schlug Ubbo Jansen ohne jeden Zynismus in der Stimme vor und wiederholte. »Ich muss jetzt erst einmal verhindern, dass die Flammen auf das andere Gebäude übergreifen.«
»Papa, wir müssen ins Auto und mit
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