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Todesbrut

Todesbrut

Titel: Todesbrut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus-Peter Wolf
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weißen Fahnen rausfahren!«
    »Das hier ist alles, was ich besitze, mein Sohn. Ich werde es nicht kampflos preisgeben.«
    Plötzlich nahm Josy Tims Argumente auf. Sie kroch wieder auf allen vieren über den Boden zu Akki und setzte sich neben ihn.
    »Ich kann verstehen, dass er rauswill. Im Gegensatz zu uns ist er leider …« Sie schluckte das Wort »behindert« hinunter und sagte stattdessen: »… er kann im entscheidenden Moment nicht wegrennen wie wir. Er ist auf Hilfe angewiesen. Vielleicht sollten wir ihn rausbringen und dann wieder zurück …«
    »Oh nein«, sagte Tim, »kommt nicht infrage. Wenn ihr mich da rausbringt, machen die mich draußen kalt. Wir bleiben alle zusammen, das ist doch wohl klar.«
    »Du kannst uns hier sowieso nicht helfen«, sagte Josy und verletzte Tim damit mehr, als sie dachte. Er sah zur Seite und biss sich auf die Unterlippe.
    »Sie hat das nicht so gemeint«, erklärte Akki. »Sie macht sich doch bloß Sorgen um dich, Alter.«
    »Bring mich zu meinem Laptop«, forderte Tim. Akki half ihm sofort hoch, um ihn ins Büro zu schleppen. »Ich weiß etwas, das funktioniert besser als deine Telefonkette«, prophezeite Tim.
    »So, was denn?«
    »Das Internet.«
    Dann bat Tim Josy, den zweiten Rollstuhl für ihn zu holen. Er stand zusammengeklappt in seinem Zimmer, hinter der Tür, als Reserve. Der Stuhl hatte keinen Motor, aber er konnte darin sitzen, die Räder mit den Händen bewegen und schieben ließ sich das Ding auch. Besser als nichts.
    Leider war keine Digitalkamera daran befestigt. Es war halt nur ein Rollstuhl, kein Kommunikationszentrum mit Zugang zum World Wide Web, aber der Computer im Büro war online.

 
    77 Oskar Griesleuchter ritzte einen Holzschnitt in die Wohnzimmertür seines toten Kollegen Philipp Reine. Er hatte das Gefühl, die Hand würde ihm geführt, so als hätte ihn ein göttlicher Strahl getroffen. War das wirklich noch er? Der vor sich hin stümpernde Hobbykünstler war plötzlich zu einem wahrhaftigen Schöpfer geworden.
    Das Bild in der Tür wurde Chris immer ähnlicher. Er musste lachen. Es war ganz einfach. Er schnitzte alles weg, was nicht aussah wie Chris. Und dann entstand ihr Bild. Schöner, prachtvoller noch, als sie in Wirklichkeit war. Eine Frau zum Verlieben, mit geschwungenen Hüften. Es war, als würde sie ihn ansehen, dankbar dafür, dass er sie unsterblich machte.
    Das Bild wurde mehrdimensional, trat heraus aus der Tür. Oskar Griesleuchter fasste sie und warf sie auf den Boden. Sie robbte zur Tür.
    »Hey, was soll das? Wohin willst du? Ich hab dich geschaffen! Du bist mein Werk! Du kannst doch jetzt nicht so einfach …«
    Er hielt sie an den Beinen fest und zerrte sie zurück. Er schlug das Messer in ihre Schulter, um sie am Boden festzunageln. Sein Kunstwerk gehörte ihm. Sie sollte bei ihm bleiben.
    Dann holte er die Gallone Whiskey, nahm einen tiefen Schluck und goss dann etwas davon über sie.
    »Lass uns feiern«, sagte er und sah zu Philipp.
    Eine Stimme meldete sich. Sie kam pochend aus dem glühenden Teil seines Verstandes, der sich gegen die Verwüstung wehrte: Du hättest vorhin doch Schluss machen sollen. Schade, dass sie dich in der Sauna daran gehindert hat. Eine Kugel in den Mund und alles wäre vorbei gewesen.
    Er warf sich auf sein Werk und brüllte Chris an: »Warum hast du mich gerettet? Warum?«

 
    78 Leon schlief und Bettina Göschl schaltete den Fernseher ein. Sie stellte den Ton ganz leise. Sie wollte bei Leon bleiben, aber sie musste wissen, was sich im Rest der Welt tat.
    Das Kratzen im Hals machte Bettina Sorgen. Als Sängerin wusste sie sehr genau mit ihrer Stimme umzugehen. Sie kannte den Unterschied zwischen überbeanspruchten Stimmbändern zu trockener Luft, einer beginnenden Erkältung und einer Halsentzündung. Dieses Kratzen war anders, als würde innerlich jemand mit einem stumpfen, metallenen Gegenstand im Hals schaben. Was ihr mehr Sorgen machte, waren ihre Augen. Wenn sie den Kopf hin- und herdrehte, sah sie keine fließenden Bewegungen, sondern abgehackte Bilder, als würde sie statt eines Films auf Dias schauen. Etwas tauchte am Rande ihres Gesichtsfeldes auf, zog sich dann aber nicht langsam hindurch, sondern sprang auf die andere Seite, bevor es endgültig verschwand.
    Sie schloss kurz die Augen und rieb sie. Waren das Stresssymptome? Oder hatte sie sich bereits angesteckt?
    In den Nachrichten sah sie einen Lieferwagen, der in Emden auf der B 210 versucht hatte, die Polizeisperre zu durchbrechen.

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