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Todesbrut

Todesbrut

Titel: Todesbrut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus-Peter Wolf
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Jugendlicher gewesen war, der keinem Duell aus dem Weg ging, der von den Freunden geachtet und von den Gegnern gefürchtet wurde.
    Er war nicht heulend zum Klassenlehrer gerannt, wenn der Terror von Maik und seinen Schergen aus der neunten Klasse zu heftig geworden war. Oh nein. Er ging lieber unter, als sich knechten zu lassen oder zu Kreuze zu kriechen. Er brauchte keine Gnade vom Klassenlehrer.
    Er hatte Maik Kontra gegeben und sich dabei eine blutige Nase geholt, sein Arm war ausgekugelt worden und sein rechtes Auge hatte tagelang in allen Regenbogenfarben geleuchtet. Aber was bedeutete das alles gegen die Anerkennung, die er von seinen Klassenkameraden erhielt, weil er sich gewehrt hatte – als Einziger!
    Damals. Das alles war unendlich lange her und inzwischen erschien ihm sein weiterer Lebensweg als eine Reihenfolge von Niederlagen und Demütigungen, denen er sich ergeben hatte. Seine Frau, seine wichtigsten Kunden … die Galerie der Menschen, vor denen er wie ein Wurm herumgekrochen war, um von ihnen anerkannt und geachtet zu werden, war lang.
    Das war vorbei, endgültig. Jetzt, gerade in diesen Sekunden, riss er die Mauern ein, die er zwischen sich und seinem damaligen Helden-Ich gebaut hatte. Er wurde wieder eins mit sich selbst. Dieser Kampf hier war nur ein Vorspiel auf das, was noch kommen sollte. Eine große Abrechnung stand bevor.
    Er fühlte sich kraftvoll. Wieder sprang er mit dem Stuhl vor, stieß ihn in Kai Roses Richtung und diesmal schrie er: »Halt das Kind nicht schützend vor dich, du feiger Hund! Kämpf wie ein Mann!«
    Seine Frau konnte nicht fassen, was sie da sah und hörte. Sie wollte ihm den Stuhl abnehmen. Noch hoffte sie, er habe vielleicht das Fischbrötchen in Emden nicht vertragen. Allergien sollen ja bei manchen Menschen gewisse psychische Reaktionen hervorrufen, dachte sie. Jedenfalls erkannte sie ihren Mann nicht wieder.
    »Lass den Blödsinn, komm zur Vernunft … Helmut!« Sie musste sich beherrschen, ihn nicht wie sonst »Schwänchen« zu nennen. Irgendwie passte dieser Kosename im Moment nicht zu ihm.
    Er wandte sich ihr zu. Er sagte nichts, aber er schaute sie an, wie er sie noch nie angesehen hatte. Als sein Blick sie mit voller Wucht traf, wurde ihr heiß und kalt. Sie wusste, dass ihre Beziehung nie wieder sein würde, wie sie bisher gewesen war. Nie wieder.
    Als würde Kai Rose Helmut Schwanns Worte ernst nehmen, packte er seinen Jungen, der sich an ihm festklammerte, und schob ihn hinter sich. Margit Rose hatte sich aufgerafft und drückte Viola fest gegen ihre Brust.
    Kapitän Ole Ost hatte zwar immer noch niemanden erreicht, dafür aber im NDR 2 gehört, der Fährbetrieb zwischen den Ostfriesischen Inseln und dem Festland sei eingestellt worden.
    Er war von einem Crewmitglied informiert worden, dass sich auf dem unteren Deck Ungeheuerliches tat. Er nahm jeweils zwei Treppenstufen mit einem Schritt und stützte sich am Geländer ab, sodass es ein bisschen wirkte, als sei die Schwerkraft durch seine Leichtfüßigkeit für Bruchteile von Sekunden aufgehoben worden.
    An seinem Hals hing eine Kette mit einem Kreuz aus 18-karätigem Weißgold. Ein Familienerbstück, von der Großmutter an seine Mutter vererbt und von ihr an ihn weitergegeben. Er trug dieses Kreuz, obwohl er nicht gläubig war, denn er liebte seine Mutter und konnte ihr kaum etwas abschlagen. Manchmal war es noch heute für ihn, als würde sie ihm über die Schulter sehen bei dem, was er tat, und als würde sie ihre Meinung dazu abgeben. Vor ihren Augen zu versagen, wäre das Schlimmste für ihn gewesen.
    Er erfasste die Situation intuitiv. Ein Kellner hatte sich zum Wortführer aufgeschwungen und sehr schnell eine durch nichts legitimierte Autorität erreicht. Aber Ole Ost war sich sicher, dass seine Kapitänsuniform mehr wert war als die Kellnerweste und die Servierschürze.
    »Packt sie!«, rief der Kellner. »Packt sie! Sperrt sie ein! Sie sind wie wilde Tiere!«
    »Oh nein!«, widersprach Ole Ost mit fester Stimme. Alle drehten sich zu ihm um, sogar Helmut Schwann und der Kellner. Ohne dass er es gesagt hatte, war allen klar, dass der Kapitän zu den Streithähnen gehen wollte.
    Eine Schneise bildete sich, ein Durchgang zum Zentrum der Ereignisse. Der Kapitän sprach langsam und überdeutlich, als hätte er Sorge, nicht verstanden zu werden. »Wir werden uns jetzt alle beruhigen.«
    »Ach ja?!«, fauchte Helmut Schwann angriffslustig. Er wollte sich seine neue Freiheit nicht so einfach wieder nehmen

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