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Todeseis

Todeseis

Titel: Todeseis
Autoren: Bernward Schneider
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Abenteuer einlassen, stellte sich kein Gefühl freudiger Erregung ein.
    »Ich bin keine Zuchtstute, Mr. Garfield.«
    »Nein, aber ein ganz prächtiges Exemplar der Gattung Mensch.«
    Sie hätte auf Garfields anzügliches Geplänkel eingehen können, ohne rot zu werden, aber sie wollte keinen Flirt mit ihm, geschweige denn ein Abenteuer, das im Bett enden könnte. Er war einfach nicht der Richtige dafür.
    »Wenn Sie es sagen!«, gab sie zurück. »Aber wir müssen das Thema nicht vertiefen.«
    Was Garfield sich ihr gegenüber herausnahm, war in der ersten Klasse an und für sich nicht üblich, ging ihr durch den Sinn. Ob Garfield es ihr gegenüber an Respekt vermissen ließ, weil er sie durchschaute? Ahnte er, dass die Welt der gehobenen Schichten nicht die Ihre war? Oder – und plötzlich erschrak sie – wusste er sogar, wer sie war?
    »Wie Sie wünschen, Mylady«, sagte Garfield. »Sprechen wir von etwas anderem. Was für Pläne haben Sie in Amerika?«
    Sie ließ sich nichts anmerken und wiederholte die Leier von der Hochzeit ihrer Freundin, aber in ihrem Inneren begann sie ihn mit anderen Augen zu betrachten. Ein Immobilienhändler aus London, mit Verbindungen nach Amerika? Konnte ein solcher Mann mit dem Kreis von Menschen in Verbindung stehen, den sie zu fürchten hatte? Die Geschichte, die er ihr erzählt hatte, mochte genausowenig stimmen wie die ihre von der Hochzeit, aber obwohl sie es nicht ausschließen mochte, konnte sie nicht recht daran glauben, sodass sie sich im Stillen für das Vorurteil schalt, mit dem sie ihm begegnete.
    Garfield gab ein paar Anekdoten zum Besten, aber Gladys hörte kaum hin oder vergaß das meiste, kaum dass er es gesagt hatte.
    »Vielen Dank, dass Sie mir Gesellschaft geleistet haben, Mr. Garfield«, sagte sie, als in ihrer Plauderei eine Pause eintrat. »Ich will mir noch etwas die Beine vertreten, bevor ich zurück in meine Kabine gehe.«
    Sie stand auf, und Garfield erhob sich ebenfalls.
    »Ich werde Sie selbstverständlich begleiten.«
    »Nein danke«, erwiderte sie bestimmt. »Ich wünsche heute Abend keine Begleitung.« Wenn es sein musste, verzichtete Gladys auf jede Höflichkeit.
    Garfield sank auf seinen Stuhl zurück. »Mag sein, wir sehen uns später«, lächelte er.
    »Ja, mag sein.«
    Die Promenaden auf dem A-Deck am Vorderschiff waren mit stahlgerahmten Fenstern, die sich zur Seite schieben ließen, ausgestattet. Die großen Scheiben schützten gegen Wind und Gischt, sodass die Atmosphäre, die hier herrschte, fast einem Sommerabend in London glich. Die Frauen trugen Kleider aus wertvollen Stoffen. Überall wurden angeregte Gespräche geführt. Das Meer hinter dem Fenster war nur ein silbernes Glitzern, erzeugt von dem Widerschein, den das Mondlicht auf die Wasseroberfläche zauberte.
    Gladys spürte, dass sie angesehen wurde, und als sie sich umdrehte, erblickte sie das Trio, das am Vorabend im Café Parisien ihre Aufmerksamkeit erregt hatte, den Mann mit den beiden so verschieden aussehenden Frauen. Für einen Augenblick kreuzten sich ihre Blicke mit denen der hässlichen Frau, und Gladys erschrak so sehr, dass sie einen Moment innehielt. Es war ein scheinbar freundlicher, aber spürbar übelwollender Blick, voller Neid wegen Gladys’ Schönheit, als ob all die Zurückweisungen und Enttäuschungen, die diese Frau erlebt haben mochte, in diesen latent böswilligen Augen zum Ausdruck kam. Gladys drehte sich um und verließ das Promenadendeck, um auf einem der Freidecks die frische Nachtluft einzuatmen. Minutenlang verharrte sie an der Reling, die nächtliche See in ihrer schwarzen Unendlichkeit beobachtend. Einmal bemerkte sie ein fernes, fast unwirkliches Licht, wohl von einem anderen Schiff, das dieselbe Route wie das ihre befuhr, und plötzlich ergriff sie eine Ahnung von dem unermesslichen Abgrund unter der Titanic. Sie bezwang die plötzlich aufkeimende Angst und kehrte auf das verglaste Promenadendeck zurück. Sie war noch nicht weit gegangen, als sie dem Ehepaar Astor in die Arme lief. Die beiden blieben vor ihr stehen, und auch Gladys hielt in der Bewegung inne. Madeleine Astor warf ihr einen aufmunternden Blick zu.
    »Sie sind Mrs. Appleton, nicht wahr«, sagte sie. »Sie sind ja noch viel schöner, als man es mir geschildert hat.« Sie nannte ihren Namen und stellte ihr dann auch ihren Gatten vor.
    »Danke für das Kompliment«, lächelte Gladys, »aber was bin ich gegen Sie?«
    In Madeleine Astors dunklen Augen lag ein selbstbewusster Stolz, der nicht
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