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Todeseis

Todeseis

Titel: Todeseis
Autoren: Bernward Schneider
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unangemessen wirkte. Sie war nicht unbedingt schön zu nennen, verfügte aber über eine charmante Ausstrahlung, die sie anziehend machte, und war sich deren Wirkung durchaus bewusst. Sie trug ihr wundervolles Haar hochgesteckt, und ihre sinnlichen Lippen umspielte ein geheimnisvolles Lächeln.
    Auch Jacob Astor war eine angenehme Erscheinung. Obwohl er fast 30 Jahre älter war als seine Frau, schien ihr die Verbindung der beiden nicht unpassend zu sein. Er hatte ein schmales Gesicht mit gefälligen Zügen und war von schlanker, geschmeidiger Gestalt.
    »Fühlen Sie sich wohl an Bord?«, fragte er Gladys.
    »Vor der Abreise hatte ich befürchtet, es könne rauer Seegang herrschen«, erwiderte Gladys. »Aber es gibt keinen – und das Schiff ist einfach wundervoll.«
    »Die glatte See ist im Preis der ersten Klasse inbegriffen«, sagte Astor und lächelte. »Das ist kein Scherz! Wenn Sie eine der Luxus-Suiten bewohnen, kann es sein, dass Sie den Seegang nicht bemerken.«
    »Heute Nachmittag hörte ich jemanden von der Besatzung sagen, die See sei fast unheimlich ruhig«, wandte Madeleine mit Blick zu den Fenstern ein, »– wie die Ruhe vor dem Sturm.«
    »Es wird keinen Sturm geben«, sagte Astor. »Ich sprach mit Mr. Ismay, und der ist das Ohr von Kapitän Smith. Deshalb weiß ich, dass wir äußerst günstige Bedingungen haben. Ismay möchte, dass wir nicht erst am Mittwochvormittag, sondern am Dienstagnachmittag gegen 16 Uhr vor New York eintreffen. Das wäre sein größter Triumph über die Konkurrenz. Für das Geschäft ist dies von erheblicher Bedeutung.«
    Madeleine nickte und sah Gladys wieder an. »Sie müssen uns einmal in unserer Suite besuchen kommen«, äußerte sie mit ihrer sanften, silberhellen Stimme. »Nicht wahr, Liebling? Du hast doch nichts dagegen«, sagte sie sehr bestimmt.
    »Warum sollte ich etwas dagegen haben?«, sagte Jacob Astor. »Sie könnten morgen Abend unserer Séance beiwohnen, Mrs. Appleton. Dr. Faussett sagte mir, wir müssten neun Personen sein. Dürfen wir mit Ihrer Teilnahme rechnen?«
    »Eine Séance?«, sagte Gladys. »Sprechen Sie von einer spiritistischen Sitzung?«
    Madeleine nickte. »Keine Sorge, es ist ganz harmlos«, sagte sie. »Ich bin schon sehr gespannt.«
    Woher wollte Madeleine wissen, dass die Sitzung harmlos war, dachte Gladys. Man ließ sich nicht leichtfertig mit Geistern ein. Das hatte ihre Großmutter ihr eingeschärft, als sie noch ein kleines Mädchen gewesen war.
    »Ich halte nichts von spiritistischen Sitzungen«, meinte Gladys zu Madeleine.
    »Sie müssen ja nichts davon halten«, sagte Madeleine. »Ich glaube selbst auch nicht an Geister. Aber eine solche Sitzung ist interessant. Eine Abwechselung. Sehen Sie es als eine Abendunterhaltung an.«
    »Haben Sie schon einmal an einer solchen Sitzung teilgenommen?«, fragte Gladys.
    »Nein«, antwortete Madeleine. »Aber eine gute Freundin von mir tat es, und sie fand es ausgesprochen amüsant.«
    »Darf ich es mir noch überlegen?«
    Madeleine kam etwas näher, sodass sich ihre Schultern einen Moment lang berührten, und ergriff Gladys am Arm, als wollte sie sie ein Stück zur Seite ziehen.
    »Schließen Sie sich unserem Kreis an«, sagte sie leise. »Bestimmt wird es sehr unterhaltsam. Es nehmen noch ein paar andere interessante Herrschaften teil. So sagen Sie schon ja, meine Liebe.«
    Gladys hätte trotz des fast naiven Charmes der jungen Madeleine Astor die Einladung instinktiv am liebsten abgelehnt, aber die Astors waren nun einmal sehr reiche und einflussreiche Leute, und in ihrer ungeklärten Situation schien es ihr, dass sie deren wohlwollendes Angebot nicht ablehnen sollte. Und was sprach schon dagegen, einmal einer spiritistischen Sitzung beizuwohnen? Geister hin, Geister her, dachte sie, das Ganze war ohnehin nicht ernst zu nehmen, eine Abendunterhaltung eben, wie man sie tatsächlich selten erlebte.
    »Es ist sehr nett von Ihnen, dass Sie mich einladen«, erwiderte sie schließlich, wobei sie letztlich doch Madeleines Charme erlag. »Ja, ich bin gerne dabei.«
    Madeleine strahlte, sie schien sich ehrlich zu freuen.
    »Ich werde Sie morgen beim Essen noch einmal daran erinnern«, sagte sie und wandte den Blick ihrem Gatten zu. »Hat Dr. Faussett die Uhrzeit für den Beginn der Séance schon genannt?«
    »Voraussichtlich um neun Uhr«, sagte Astor. »Sollte sich die Uhrzeit ändern, wirst du Mrs. Appleton rechtzeitig unterrichten, Liebes.«
    »Natürlich!« Madeleine zwinkerte ihr verschwörerisch
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