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Todeseis

Todeseis

Titel: Todeseis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernward Schneider
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dass mit dem Schiff etwas passieren könnte?«
    »Die Jungfernfahrt findet unglücklicherweise im April statt«, erwiderte er. »Das ist nicht gerade die günstigste Jahreszeit, denn in diesem Monat besteht die Gefahr von schweren Stürmen, die im schlimmsten Fall eine Herabsetzung der Geschwindigkeit erforderlich machen, oder von Nebel, bei dem die Geschwindigkeit auf jeden Fall reduziert werden muss, oder auch von Eis. Von diesen drei Widrigkeiten ist Eis die gefährlichste. Es gibt Eisberge in allen nur erdenklichen Größen, die eine Gefahr für jedes Schiff darstellen.«
    »Aber die Titanic ist doch nicht wirklich in Gefahr?«
    Roger zuckte mit den Achseln.
    »Nun ja. Eiswarnungen waren schon bekannt, als die Titanic noch in Southampton lag. Bereits seit Wochen wissen die Reeder, dass Eisberge und Eisfelder auf die Schifffahrtsroute nach New York zutreiben. Alle Meldungen weisen daraufhin, dass in diesem Jahr die Eissituation auf dem Atlantik sehr ungewöhnlich ist, das Eis kommt in diesem Jahr sehr früh.«
    »Dann muss man eben etwas vorsichtiger fahren.«
    »Die Jungfernfahrt der Titanic ist ein Stelldichein der High Society. Eine verspätete Ankunft in New York passt nicht in den Plan der Gesellschaft. Die Olympic, das Schwesternschiff der Titanic, schafft eine Überfahrt in fünf Tagen und sieben Stunden. Die Titanic ist zwar ein ganz neues Schiff, das erst eingefahren werden muss, aber sie ist die verbesserte Version der Olympic. Von daher darf sie einfach nicht langsamer als die Olympic sein, auch wenn es ihre erste Überfahrt ist.«
    »Das heißt, die Jungfernfahrt muss ein Geschwindigkeitsrekord werden?«
    »Der Kapitän steht unter einem gewissen Druck. Ein anderes Ergebnis wird man als Versagen des Kapitäns werten. Die Olympic hat eine Geschwindigkeit von 22,75 Knoten. Von der Titanic erwartet man, dass sie nach der Einfahrzeit 23 Knoten schafft. Der Konkurrenzkampf auf der Atlantikroute nach New York ist sehr hart. Viele Reedereien bemühen sich um die Gunst der Passagiere. Der Transport von Auswanderern aus Europa nach Amerika ist ein Massengeschäft. Viel lukrativer und damit noch härter umkämpft ist die Gruppe der Passagiere, die es sich leisten können, erster Klasse zu fahren. Das sind Geschäftsreisende und ganz besonders die den Atlantik auf ihren Urlaubsreisen überquerende High Society. Die White-Star-Line hat viel Geld in den Bau der Olympic und der Titanic investiert, das auf dem Atlantik wieder hereingeholt werden muss. Außerdem wird bereits ein drittes Schiff der Olympic-Klasse gebaut. Auch dieses Schiff muss in absehbarer Zeit abgenommen und damit bezahlt werden. Je schneller die Titanic in die Gewinnzone fährt, umso besser. Eine gute erste Passage hilft dabei sehr.«
    »Die Titanic fährt also zu schnell?«
    »Eindeutig ja! Der Kapitän ist bestrebt, den Atlantik zügig zu überqueren. Diese Einstellung ist aber angesichts der herrschenden Witterungsverhältnisse falsch.«
    »Ist es nicht ein berechtigter Wunsch für den Kapitän eines neuen Schiffes, schneller zu sein als das zuvor in Dienst gestellte Schiff?«, fragte sie.
    »Dass Kapitän Smith, nachdem wir die Irische See verlassen haben, das Schiff beschleunigt, obwohl wir in eine Gegend des Nordatlantik gelangen, von der er weiß, dass sie wesentlich mehr Eis enthält und es erheblich weiter südlich anzutreffen ist als üblich, ist in meinen Augen schlicht ein Zeichen von Unvernunft«, gab Roger zurück.
    »Er ist eine so starke, beruhigende Erscheinung«, sagte Gladys. »Ich habe ihn vorhin im Gottesdienst erlebt. Man mag gar nicht glauben, dass er fehlgehen kann.«
    »Leider denkt er das selbst von sich auch, obwohl er es eigentlich besser wissen müsste.«
    »Inwiefern?«
    »Ein Unfall mit der Titanic wäre nicht sein erster. Als Kommodore der Olympic hat er im letzten Jahr im Hafen von Southampton einen Zusammenstoß mit dem britischen Kreuzer ›Hawke‹ verursacht. Sein Verhalten als Kapitän war kein Ruhmesblatt für die White Star. Obwohl die beiden Schiffe einander schon in sechs Kilometer Entfernung erkannten, wich Smith dem Kreuzer nicht aus, sodass die Hawke ihren Bug in die Flanke der Olympic bohrte.«
    Gladys dachte an den Vorfall beim Auslaufen in Southampton, als die Titanic beinahe mit dem Frachter New York kollidiert wäre.
    »Nun, sicherlich wird Kapitän Smith die Geschwindigkeit herabsetzen, wenn wir das gefährliche Seegebiet erreichen«, sagte sie.
    »Ich habe ihn gestern bereits auf die Situation

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