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Todeseis

Todeseis

Titel: Todeseis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernward Schneider
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wirke sofort; ähnlich den Pfeilgiften, die die Indianer in Amerika und die Eingeborenen in Afrika verwenden, aber ich müsse aufpassen und solle nicht mehr als ein paar Tropfen nehmen, denn in hoher Dosis könne das Mittel tödlich sein. Na, sie hatte nicht unrecht. Ich goss eine ordentliche Dosis in sein Whiskyglas, denn ich musste auf Nummer sicher gehen. Im hochprozentigen Alkohol löst das Mittel sich besonders gut und entfaltet seine ganze Wirkungskraft. Er trank davon, und es dauerte keine zehn Sekunden, dann wurde er schlagartig müde. Er konnte gerade noch das Glas abstellen, bevor er auf dem Boden aufschlug. Sein Puls war ganz schwach, als ich ihn verließ, aber ich konnte nichts anderes tun, als ihn liegen zu lassen. Hätte ich ihm geholfen, hätte das meinen Tod bedeutet. Für mich war es die einzige Möglichkeit, ihm zu entkommen. Ich hatte keine andere Wahl, trotzdem habe ich es nicht  leichtfertig getan, und immer wenn ich daran denke, was ich gemacht habe, meldet sich mein Gewissen. Aber was hätte ich anderes tun sollen? Mich in das Schicksal ergeben, das er mir zugedacht hatte? Das ging nicht! Ich hätte das Schiff sonst nicht erreicht. Deshalb musste ich in Kauf nehmen, dass ihn die Dosis getötet hat. Vielleicht ist das auch der Grund, weshalb sie hinter mir her sind. Sie wollen Rache an mir nehmen.«
    Roger ließ den Blick zum Kajütenfenster schweifen.
    »Sag mir ganz ehrlich, ob du dir selbst Vorwürfe machst, wegen dem, was du getan hast, Gladys?«
    »Ganz ehrlich?«
    »Ja, ganz ehrlich.«
    »Nein«, sagte sie.
    »Dann mache ich dir auch keine Vorwürfe«, sagte er. »Menschen wie dieser Frank Jago können nicht über ihre Mitmenschen verfügen, indem sie sie töten oder versklaven. Wer so etwas tut, muss damit leben, dass sich ein Opfer auch einmal wehrt. Und wenn sich ein Opfer wehrt, sollte es sich so wehren, dass die eigene Verteidigung erfolgreich ist. Du hast das mildeste Mittel gewählt, das dir in dieser Situation zur Verfügung stand. Du hast richtig gehandelt.«
    Sie begann zu weinen, und er drückte sie fest an sich.
    »All das ist nun vorbei«, flüsterte er. »Der liebe Gott hat dich mir geschickt. Ich werde dich nie mehr verlassen, mein Liebes.«
    Sie lächelte glücklich, und der Strom ihrer Tränen versiegte langsam.
    »Was machen wir jetzt mit diesem Faussett?«, fragte Roger. »Am besten, ich nehme ihn mir heute mal vor.«
    »Müssen wir überhaupt etwas machen?«, fragte Gladys. »Du bist doch jetzt bei mir. Ich habe keine Angst mehr vor diesem Menschen.«
    »Ich werde während der Reise gelegentlich auf dem Schiff unterwegs sein«, erwiderte Roger. »Ich kann nicht jeden Augenblick an deiner Seite bleiben.«
    »Das musst du auch nicht«, entgegnete Gladys. »Wichtig ist ja nur, dass wir in den Nächten zusammen sind. Tagsüber kann mir nichts passieren.«
    »Heute Abend werden wir das Eisfeld erreichen«, sagte Roger nachdenklich. »Ich werde nicht umhin können, in den Abendstunden zuweilen das Deck aufzusuchen.«
    »Ich bin heute bei den Wideners zum Abendessen eingeladen. Anschließend soll im Café Parisien ein Ball stattfinden, zu dem Mr. Raubold mich bat, seine Tischdame zu sein. Mr. Raubold ist ein ehrenwerter Mann.«
    »Das ist gut, dann werde ich später am Abend im Café Parisien zu dir stoßen. In den beiden letzten Nächten an Bord müssen wir nicht mehr getrennt sein. Die Gefahr durch Eis besteht nur in der kommenden Nacht.«
    Durch das Bullauge sah Gladys die ruhige im Licht der Morgensonne glitzernde Meeresoberfläche, die ihr zum ersten Mal in den Tagen der Reise einen versöhnlichen Eindruck bot.
    »Ich glaube, jetzt bist du dran, mir zu erzählen, warum du auf diesem Schiff bist«, sagte sie. »Oder ist es ein so großes Geheimnis?«
    »Es ist bloß ein Dienstgeheimnis«, antwortete er. »Mit Menschen, von denen ich nicht weiß, ob ich ihnen vertrauen kann, mag ich darüber nicht sprechen, vor allem, damit nichts weitergetragen wird und die Besatzung des Schiffes kein Misstrauen gegen mich hegt. Aber unser Verhältnis ist jetzt ein anderes als gestern. Auch ich habe keine Geheimnisse mehr vor dir, mein Liebstes.«
    »Ich bin verschwiegen«, erwiderte sie und löste sich aus seinem Arm. Roger lehnte sich in die Kissen zurück.
    »Ich arbeite und reise im Auftrag von Lloyds in London«, sagte er nach einer Weile. »Bei dieser Gesellschaft ist die Titanic bei einem Unfall gegen Schäden versichert.«
    »Ein Versicherungsagent bist du also? Glaubt man denn,

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