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Todeseis

Todeseis

Titel: Todeseis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernward Schneider
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Rettung da! Wir befinden uns auf einer viel befahrenen Route. Es wird gar nicht nötig sein, in eines der Rettungsboote zu steigen.«
    Sie tat gerade genau das Gleiche wie Phil damals in London, fiel ihr ein. Nur um noch ein paar Augenblicke Zeit zu gewinnen, redete sie daher, was immer ihr in den Sinn kam. Phil? Damals? Mein Gott, es war ja nur ein paar Tage her, dass Phil gestorben war, weniger als eine Woche! So schnell also sollte sie ihm folgen. So nahmen also Frank Jago und dessen Chef doch noch Rache an ihr. Sie war ihrem Schicksal nicht entkommen.
    »Die Hoffnung stirbt zuletzt«, bemerkte Barrett in zynischem Ton.
    Gladys schluckte.
    »Wo ist der Steward? Warum ist Mr. Boyes nicht hier?«
    »Du hast ihn gerade überlebt«, lachte Barrett. »Wenn es auch kein Erfolg ist, von dem du lange etwas haben wirst.«
    »Er ist tot?«, fragte Gladys betroffen. »Warum? Was ist geschehen?«
    »Er hat sich in die Reihe der Verräter eingereiht«, sagte Barrett. »Ich fand ihn in seiner Kammer, als er gerade dabei war, sich die Taschen mit dem Geld vollzustopfen, das er von mir bekommen hatte. Er hatte die Gegenleistung noch nicht erbracht, war aber schon fast auf dem Wege, in eines der Rettungsboote zu springen und zu verschwinden. Ich habe den Feigling erschossen.«
    Gladys schloss die Augen und dachte an Roger, ihren Liebsten. So hatte sie ihn nur gefunden, um ihn gleich darauf erneut zu verlieren. Ein paar gemeinsame Stunden des Glücks waren ihnen in diesem Leben beschieden gewesen. Oh Gott, warum währte unser Glück so kurz?
    »Bitte mach mich los«, flehte sie. »Mir tut alles weh – so furchtbar weh. Ich habe kein Gefühl mehr in meinen Händen. Du hast mich lange genug gequält! Lass mich gehen. Ich werde nichts verraten. Du hast nichts zu befürchten.«
    Barrett betrachtete sie eine Weile stumm, und obwohl sie sich innerlich bereits auf ihren Tod einzustellen begann, suchte sie in einem allerletzten Versuch den Kontakt zu seinen Augen, als hoffte sie, die Wärme ihres Blicks könnte das Eis in den Augen ihres Gegenübers auftauen. So furchtbar dieser Mensch war, so war er doch nur ein bedauernswertes Geschöpf, begriff sie, auch wenn er selbst es noch nicht verstand, und ihre Hassgefühle schwanden dahin.
    »Vielleicht werde nicht nur ich, sondern auch du in dieser Nacht vor deinem Schöpfer stehen«, sagte sie mit brüchiger Stimme. »Willst du denn eine solche Tat, wie du sie vorhast, auf dein Gewissen laden?«
    Einen Moment lang schien er überrascht.
    »Du wirst sterben«, sagte er dann. »Nicht ich! Meine Inspirationen sind von anderer Art.«
    Nein, er verstand sie wirklich nicht, begriff sie, als sie das irre Flackern in seinen Zügen sah, und so musste sie hinnehmen, dass es ihr nicht gelingen würde, eine Brücke zu ihm zu bauen; die Kälte, auf die sie stieß, war noch furchtbarer als die Temperatur des Meeres in dieser schrecklichen Nacht; er hatte eine Seele, aber diese Seele war zu Eis erstarrt.
    »Ich werde dich jetzt verlassen, meine Schöne«, sagte Barrett. »Ich kann dich leider nicht ins Meer werfen, wie ich es ursprünglich plante. Nicht weil Nevil weg ist, sondern weil es draußen inzwischen von Booten wimmelt. Ich hatte überlegt, ob ich dich einfach deinem Schicksal überlassen soll. Es wäre eine angemessene Lösung gewesen. Dem Gott des Meeres ist der Opfertisch bereitet. Gern hätte ich dich ihm lebendig übergeben. Er müsste ja nur noch kommen und dich holen.«
    Nein, sie wollte nicht mit ihrem Gott hadern, dachte sie, während sie die Augen wieder schloss. Es waren wunderschöne Stunden gewesen, die sie mit ihrem Geliebten hatte verbringen dürfen, und allein, um sie zu erleben, hatte ihr Leben sich gelohnt.
    Barrett war hinter sie getreten.
    »Ehrlich gesagt, habe ich keinen großen Zweifel, dass er bald kommen und sich meine Gabe nehmen wird«, hörte sie ihn sagen. »Aber leider muss ich auf Nummer sicher gehen!« Seine Stimme erschien ihr schon sehr fern und drang nicht mehr wirklich an sie heran, und sie fühlte, dass ihre Seele sich auf den Weg gemacht hatte, diese Welt zu verlassen. Wenn es unabänderlich war, dachte sie, so muss ich eben gehen. Jeder musste gehen, früher oder später, und so viele hatten diesen Weg vor ihr beschritten und würden ihr noch folgen, so schlimm konnte es daher nicht sein, und sie hatte keine Angst. Irgendwann würde sie Roger wiedersehen, sagte sie sich, irgendwann in ferner Zeit. Und bis es soweit war, dachte sie, wollte sie ruhen, endlich

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