Todesengel
kaum Abgase, und die Luft ist sauber und klar. Wenn Ihre Tochter nicht zufällig gegen Bäume und Gräser allergisch ist, dürfte die Umgebung hier wohl ausgesprochen gesund für sie sein.«
Nach dem Gespräch mit Dr. Pilsner führte Michael Caldwell die Wilsons zum Regionalbüro der CMV-Versicherung. Bevor die drei hineingingen, mußten sie ihm versprechen, später noch einmal bei ihm vorbeizuschauen. Die Sekretärin an der Rezeption bat die Wilsons, in einem kleinen Wartezimmer Platz zu nehmen. Doch noch bevor sie einen Blick in die Zeitschriften werfen konnten, wurden sie von Charles Kelley begrüßt. Kelley war eine Riese von einem Mann; als er David die Hand gab, überragte er ihn um gute zwanzig Zentimeter. Sein Gesicht war braungebrannt, sein rotblondes Haar von hellblonden Strähnchen durchzogen. Er trug einen perfekt sitzenden Maßanzug. Wegen seiner überschwenglichen und kontaktfreudigen Art hätte man Kelley eher für einen erfolgreichen Verkaufsmanager als für den Verwaltungschef einer Krankenversicherung halten können. Wie Caldwell lud auch Kelley die ganze Familie Wilson in sein Büro ein, und er machte ebenso viele Komplimente wie Caldwell.
»Ich sage es ganz offen, David - wir wollen Sie unbedingt haben!« Um seinen Worten Nachdruck zu verleihen, haute Kelley mit der Faust auf den Tisch. »Wir brauchen Sie in unserem Team. Es gefällt uns, daß Sie eine Facharztausbildung zum Internisten gemacht haben - und dann auch noch in dem renommierten Boston City Hospital! Fachwissen ist jetzt auch bei uns immer stärker gefragt. Denn Sie wissen ja: Immer mehr Leute ziehen aus der Stadt hinaus aufs Land. Für die medizinische Grundversorgung unserer Versicherten wären Sie ein enormer Gewinn in unserem Ärzteteam, daran besteht gar kein Zweifel!«
»Das freut mich zu hören«, sagte David ein wenig verlegen. »In dieser Gegend von Vermont ist die CMV auf einem rasanten Expansionskurs«, fuhr Kelley stolz fort. »Insbesondere in Bartlet. Sowohl die Kleiderbügelfabrik als auch die Software-Firma haben all ihre Angestellten bei uns versichert. Außerdem ist sämtliches Personal der staatlichen und der kommunalen Einrichtungen bei uns unter Vertrag.«
»Hört sich ja fast nach einem Monopol an«, sagte David im Scherz.
»Wir führen unseren Erfolg eher darauf zurück, daß wir eine gute Versorgung gewährleisten und gleichzeitig die Kosten im Griff haben«, sagte Kelley. »Ja, natürlich«, stimmte David ihm zu. »Im ersten Jahr beträgt Ihre Vergütung einundvierzigtausend Dollar«, sagte Kelley.
David nickte. Ihm war klar, daß Angela später darüber flachsen würde, obwohl sie natürlich beide gewußt hatten, daß Angelas Gehalt in Bartlet voraussichtlich höher ausfallen würde. Sie hatten allerdings nicht damit gerechnet, daß Angela gleich doppelt so viel verdienen würde wie David.
»Ich werde Ihnen mal Ihre zukünftigen Praxisräume zeigen«, sagte Kelley und fuhr geschäftig fort: »Dann bekommen Sie einen besseren Eindruck von Ihrer Arbeit, und Sie sehen auch gleich, wie unser Betrieb hier funktioniert.«
David warf Angela einen Blick zu. Es war offensichtlich, daß Kelley, was das Vorstellungsgespräch betraf, härter zur Sache ging als Caldwell.
Das Büro, das Kelley den Wilsons dann zeigte, war in Davids Augen einfach traumhaft. Durch die Südfenster hatte er einen so traumhaften Blick auf die Green Mountains, daß er beinahe das Gefühl hatte, ein Gemälde zu betrachten.
David fiel auf, daß in seinem künftigen Wartezimmer bereits vier Patienten saßen und in Zeitschriften blätterten. Er sah Kelley fragend an. »Sie werden sich diese Räume mit Dr. Randall Portland teilen«, erklärte ihm Kelley. »Er ist Orthopäde. Ein sehr netter Mann. Wir sind zu der Einsicht gekommen, daß es effizienter und kostengünstiger ist, wenn sich mehrere Ärzte einen Rezeptionsbereich und auch die Arzthelferinnen teilen. Ich will mal nachsehen, ob wir Dr. Portland kurz begrüßen können.«
Kelley klopfte an eine Spiegelwand. David hatte sie für eine ganz normale Wand gehalten, doch plötzlich öffnete sich eine Tür, und eine Sekretärin streckte ihren Kopf heraus. Nachdem Kelley ein paar Worte mit ihr gewechselt hatte, fiel die unsichtbare Tür wieder zu. »Er kommt gleich«, sagte Kelley, während er sich wieder zu den Wilsons gesellte. Er führte sie nun durch die übrigen Räume. Vom Wartezimmer führte eine Tür zu den westlich gelegenen Untersuchungszimmern. Sie waren alle leer und
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