Todesengel
Schließlich stand auch Nancy auf und verkündete, daß sie ins Bett gehen wolle.
»Es tut mir leid, daß ich Kevin offenbar gereizt habe«, sagte Trent. »Ich wollte ihn wirklich nicht provozieren.«
»Ist schon gut«, erwiderte Nancy. »Es ist nicht deine Schuld. Kevin ist in letzter Zeit ein ziemlicher Brummbär gewesen. Vielleicht liegt das an einer Sache, die er euch noch nicht erzählt hat: Kürzlich ist nämlich auch einer seiner Patienten gestorben - und daß einem Augenarzt die Patienten sterben, ist ziemlich ungewöhnlich.«
Am nächsten Morgen war dicker Nebel aufgezogen, und es blies ein stürmischer Wind, der den kalten Regen gegen die Fenster peitschte. Als Angela hinaussah, rief sie entsetzt nach David, der sofort aus dem Bett sprang, weil er dachte, es habe sich eine Katastrophe ereignet. Mit halb verschlafenen Augen sah er hinaus, erblickte das Auto und registrierte, daß es regnete.
»Was gibt es denn Beeindruckendes zu sehen?« fragte David und gähnte.
»Die Bäume«, erwiderte Angela. »Sie sind alle kahl. Es sind keine Blätter mehr auf den Bäumen. In einer einzigen Nacht sind sie alle weggeblasen worden!«
»Das muß der Sturm gemacht haben«, sagte David und kroch wieder unter die Bettdecke. »Die Fensterläden haben auch die ganze Nacht geklappert.« Angela konnte nicht vom Fenster weggehen, so fasziniert war sie von den nackt wirkenden Überresten der Bäume. »Sie sehen jetzt vollkommen tot aus«, sagte sie. »Ich kann es kaum glauben, welchen Unterschied das ausmacht, ob die Bäume Blätter tragen oder nicht. Wenn das kein Omen ist! Mich beschleicht schon wieder dieses Gefühl, daß irgend etwas Schlimmes passieren wird.«
»Du bist wohl noch ein bißchen melancholisch wegen der deprimierenden Geschichte gestern abend«, versuchte David seine Frau zu beruhigen. »Komm doch noch mal ins Bett. Für makabre Gedanken ist es mir noch zu früh.« Den nächsten Schock bekamen sie, als sie das Fenster öffneten und merkten, wie kalt es geworden war. Sogar um neun Uhr war das Thermometer erst auf knapp über null Grad geklettert. Der Winter schien mit rasantem Tempo näherzurücken.
Das düstere Wetter trug dann auch keineswegs dazu bei, daß sich die Stimmung unter den Erwachsenen verbesserte. Anfangs waren wenigstens die Kinder noch fröhlich, doch selbst sie ließen sich im Laufe des Tages von der miesen Laune ihrer Eltern anstecken. David und Angela waren froh, als sie endlich aufbrechen konnten. Während sie durch die Berge fuhren, bat David seine Frau, ihn in Zukunft immer rechtzeitig daran zu erinnern, daß er nie wieder mit Kevin Tennis spielen wollte. »Ihr Männer benehmt euch wirklich wie Kinder, wenn es um euren Sport geht«, sagte Angela. »Moment mal«, erwiderte David leicht gereizt. »An mir lag es ja wohl nicht, daß die Stimmung im Eimer war. Kevin hat den Streit ganz allein verursacht. Er kann eben nicht verlieren. Dabei wollte ich zuerst nicht einmal mit ihm spielen.«
»Jetzt reg dich bloß nicht auf!« sagte Angela. »Ich reg mich gar nicht auf«, erwiderte David. »Aber die Verantwortung für Kevins Wutanfall nehme ich nicht auf meine Kappe.«
»Davon war doch gar nicht die Rede«, sagte Angela. »Ich habe nur eine Bemerkung über Männer und ihr Verhältnis zum Sport gemacht. Das war alles.«
»Ist schon in Ordnung«, murmelte David. »Ich bin wohl etwas gereizt. Es macht mich einfach wahnsinnig, wenn ich von so vielen mißmutigen Menschen umgeben bin. Das Wochenende war kein ausgesprochenes Vergnügen.«
»Diese Clique ist auf jeden Fall ziemlich merkwürdig«, bemerkte Angela. »Auf den ersten Blick wirken sie alle ganz normal, aber wenn man sie mal genauer betrachtet, bekommt man so seine Zweifel. Wenigstens haben sie sich diesmal mit ihren sexuellen Anspielungen zurückgehalten und sich nicht so komisch benommen wie im Sommer. Aber mir ist aufgefallen, daß Kevin immer wieder über den tragischen Tod von Dr. Portland spricht; er scheint davon regelrecht besessen zu sein.«
»Kevin ist ein seltsamer Vogel«, sagte David. »Ich hasse es, ständig an Portlands Selbstmord erinnert zu werden. Wenn ich nur daran denke, bereitet es mir Qualen, in mein Büro zu gehen. Wann immer er auf diese Sache zu sprechen kommt, muß ich mir unweigerlich vorstellen, wie die Wand hinter meinem Schreibtisch damals ausgesehen haben muß - über und über bespritzt mit Blut und Gehirnfetzen.«
»David! Ich bitte dich!« sagte Angela scharf. »Wenn du schon auf meine Gefühle
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