Todeserklärung
mir sehr geschätzter Künstler, der über seine Arbeit hinaus jedoch nur so viel Einblick in sein Leben gewährt, wie er es selber will. Und das respektiere ich.«
»Er hat seine Motive geändert«, fiel Knobel ein. »Können Sie mir das erklären?«
»Sie meinen die Stadtmotive?«
Der Galerist schien wenig überrascht und drehte sich um.
»Sehen Sie, hier ist eines seiner Stadtbilder. Die haben ihren eigenen Charme und stehen nicht so sehr im Gegensatz zu den Landschaftsbildern, wie man zunächst vermuten könnte. So wie die Landschaften leben, leben auch die Städte. Es sind durchweg Altstadtmotive, und ich würde vermuten, es handelt sich um abstrahierende Ansichten von Gassen aus der Innenstadt von Palma. Sehen Sie hier die Wandlaternen …«
Herr Möller zeichnete mit dem Zeigefinger Konturen auf dem Bild nach. »Wandlaternen gibt es in dieser Form in Palma. Und auf einem anderen Bild …«, er drehte sich wieder um, und Knobel folgte ihm zur anderen Wand, »… sehen Sie abstrahiert ein Gebilde, das die Kathedrale von Palma, die Catedral La Seu , darstellen könnte. Wobei die Kathedrale aus ungewohnter Perspektive, nämlich wohl von hinten, also von der Stadtseite aus, gemalt worden ist. Wie gesagt: Könnte, könnte, könnte. Der Kunde hinterfragt das nicht. Ihn interessieren die warmen Farben, die in sein Wohnzimmer oder wohin auch immer passen könnten. Das ist das Könnte , wo meine Beratungstätigkeit einsetzt. Ganz sicher ist, dass Pakullas Städte dieselbe Lebensfreude darstellen wie seine Landschaftsbilder. Er würde gewiss nie ein Bild von Dortmund malen. Grau vermittelt wenig Freude, da werden Sie mir recht geben.«
Knobel gab ihm recht.
»Er hat noch ein ganz anderes Bild gemalt«, fuhr Knobel fort, berichtete von seinem Besuch in Sebastians Wohnung und schilderte das Bild, welchem Marie den Titel Das gefangene Herz gegeben hatte.
»Das ist ja nun wirklich etwas ganz anderes«, überlegte der Galerist. »Ich vermute, es handelt sich um ein Nonsensbild.«
»Ein Nonsensbild?«, wiederholte Knobel fragend.
»Das ist ein Begriff von mir«, erklärte der Galerist. »Sie können sich vorstellen, dass ein Maler selbst bei sorgfältiger Dosierung und reichlicher Übung schnell zu viel Farbe anrührt. Ölfarbe ist teuer, auch wenn Pakulla sie in großen Mengen günstig über den Großhandel bezieht. Und da stets Farbe übrig bleibt, wird diese auf einem gesonderten Bild verwertet, der Pinsel oder die Farbe eben ausgestrichen. Meistens sind es aber keine wirklichen Bilder, sondern Skizzen oder Nonsensmotive, und was Sie mir beschreiben, scheint in diese Kategorie zu gehören. Sie sagten ja, dass auf dem Bild, abgesehen von dem roten Herz, viel gelbe Farbe ist. Gelb ist, wie Sie sehen, wie rot eine seiner häufigsten Farben. Es ist also denkbar, dass er auf diesem Bild überschüssige gelbe und rote Farbe verstrichen hat. Aber wer weiß: Vielleicht hat das Bild auch einen tieferen Sinn. Das schwarze Raster könnte Gitterstäbe darstellen, die schwarze diagonale Linie einen Dolch, der auf das Herz zustoßen will. Wer weiß? Künstler haben manchmal skurrile Gedanken. Und mein Sebastian Pakulla ganz bestimmt. Stellen Sie sich das vor: Ich kenne ihn seit Jahren und eigentlich kenne ich ihn gar nicht. Das ist aber typisch für Sebastian Pakulla. An den kommen Sie nicht ran. Von seiner Liebe auf Mallorca weiß ich nicht mehr als das Wenige, was ich Ihnen gesagt habe. Von einem Bruder hat er übrigens auch nie etwas erwähnt. Aber das ist vielleicht auch nicht ungewöhnlich bei einem Menschen, der kaum etwas Privates von sich preisgibt.«
14
Am Abend besuchte ihn Marie in der Varziner Straße. Knobel führte sie durch eine Wohnung mit fremden Möbeln, präsentierte den nächtlichen Ausblick auf die blauen Neonröhren an den dunklen Kokereigebäuden und zeigte ihr die Küche mit den alten Elektrogeräten. Herd, Kühlschrank und den Oberschränken darüber, deren Oberfläche im Laufe der Jahre fettigen Glanz über den Kochplatten gebildet hatte. Dazu eine kreisrunde Neonröhre über dem einfachen Küchentisch, Zwiebeln in einem Netz unter einem Anbauregal hängend, dann das Schlafzimmer mit einem schlichten Bett mit Kieferrahmen, zwei nicht zueinander passende Kleiderschränke, ein Wohnzimmer mit einer abgenutzten Ledercouch, darüber der beleuchtete Wasserfall, das Bad mit abgenutzter stumpfer Wanne, hellgrünen Fliesen, einem schlichten Porzellanregal über dem Waschbecken, darauf seine ersten Utensilien:
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