Todeserklärung
Kanzleien, in denen Sozietätsbesprechungen quasi eine form-und fristgerechte Einladung vorausgehen muss. Wir sind familiär strukturiert.«
Heftiges Kopfnicken von Hubert Löffke, der zeitgleich zu seiner Zigarettenschachtel griff, aber erst eine Zigarette anzündete, als der Senior bereits die Zigarre schmauchte. Der Senior hatte bei allen Ritualen den Vortritt.
»Zwei Dinge gibt es zu bereden, die uns alle angehen und die ich deshalb in diesem Kreis erörtern möchte. Mein lieber Knobel, das sind Ihre, wie soll ich sagen?, privaten Kapriolen und schließlich der Fall Pakulla.«
Knobel zuckte unter dem unerwarteten Angriff zusammen und blickte sofort zu Frau Meyer-Söhnkes, die ihn offensichtlich verraten hatte.
Löffke lehnte sich genussvoll zurück.
»Nein, nein«, beschwichtigte der Senior, der offensichtlich Knobels Gedanken erahnt hatte. »Sie wissen doch, dass Ihr Schwiegervater und ich uns schon seit vielen Jahren kennen. Unter Freunden redet man. Über ihn sind Sie doch in meine Kanzlei gekommen.«
Dieser Satz sagte vor dem Hintergrund der gestrigen Worte des Schwiegervaters mehr aus als die anderen an diesem Tisch ahnen konnten.
»Jeder Anwalt in unserer Kanzlei hat eine saubere Vita«, diagnostizierte Dr. Hübenthal.
»Nicht, dass nicht mal eine Ehe zerbrechen könnte! Das passiert schon mal. Aber wenn es passiert, stehen wir einander bei und bringen die Dinge geräuschlos über die Bühne. Da gibt es keine Schelte, und es ist ganz normal, wenn man in dieser Situation vorübergehend nicht ganz auf seine Arbeit konzentriert ist. Das sollen Sie wissen, mein lieber Knobel, gleich, welche privaten Schritte Sie auch unternehmen!«
Dr. Hübenthal lächelte ihn aufmunternd an. Der einleitende Satz mit der sauberen Vita hätte ganz andere Worte vermuten lassen. Plötzlich erkannte Knobel, dass Hübenthal seine Trennung von Lisa als Abwehrstrategie gegen den ehrgeizigen und aggressiven Löffke aufbaute und ihr beider Geheimnis, Hübenthals und Knobels Wissen um die frühere Mordsache Weinstein und die Täterschaft des Mandanten Rosenboom ihn noch immer unter dem Schutzmantel des Seniors hielt. Löffke war bei den unerwartet milden, eher fürsorglichen Worten Hübenthals unruhig geworden und zog hastig an seiner Zigarette.
»Sie, Herr Kollege Löffke«, wobei sich Dr. Hübenthal Knobels Widersacher zuwandte, »wollten noch etwas zu dem Fall Pakulla sagen!«
Löffke hatte sichtlich darauf gebaut, auf eine erwartete Standpauke Hübenthals gegen Knobel aufsetzen und mit einem Vorhalt auftrumpfen zu können, mit dem er Knobel einen Hieb hätte versetzen können. Die simple Strategie funktionierte nicht. Löffke blies missmutig Rauch aus. Aber was hatte Löffke mit dem Fall Pakulla zu tun?
»Ich wollte nur anmerken«, setzte Löffke an, »dass der Mandant Pakulla an unsere Kanzlei insgesamt bereits 21.200 Euro Honorar gezahlt hat. Nicht eben wenig. Und dass wir nicht zuletzt wegen dieser Zahlungsfreudigkeit uns auch nachhaltig für den Mandanten einsetzen sollten, jedenfalls so, dass er sich nicht mit seinem Anliegen an die Zeitungen wenden muss.«
Nach diesen Worten zog Löffke gefaltete Innenblätter der Westfälischen Rundschau und den Ruhr-Nachrichten des heutigen Tages aus seiner Anzuginnentasche und schob sie Knobel über den Tisch.
Brudersuche , war der Artikel in einer der Zeitungen überschrieben. Knobel überflog die ersten Zeilen und las den letzten Absatz genau:
Gregor Pakulla hat bereits die renommierte Kanzlei Dr. Hübenthal & Knobel mit der Suche beauftragt, die ihm bislang jedoch nicht behilflich sein konnte. Gregor Pakulla wendet sich deshalb an unsere Leser: Wer kann etwas zum Aufenthaltsort Sebastian Pakullas sagen?
Es folgten der Hinweis auf Gregor Pakullas Adresse in Limburg und seine Handynummer. Noch überraschter war Knobel über ein neueres Foto des Bruders Sebastian, das ihn vor dem Hintergrund einer offensichtlich südländischen Umgebung zeigte.
Knobel sah ungläubig auf.
»Immerhin hat der Artikel etwas gebracht«, meinte Dr. Hübenthal. »Es hat sich nämlich die Galerie Möller aus der Kampstraße bei uns und nicht bei Herrn Pakulla gemeldet. Der Galerist ist in anderen Sachen bei uns Mandant. Ein sehr netter Mensch. Sebastian Pakulla hat offensichtlich über die Galerie Bilder verkauft. Hier ist seine Adresse.«
Der Senior gab Knobel einen Zettel und beendete die Sozietätsbesprechung, indem er etwas von vorösterlichem Frieden murmelte.
Man ging mit den Posteingängen
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