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Todeserklärung

Todeserklärung

Titel: Todeserklärung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Erfmeyer
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Jahreswechsel dich steuerlich getrennt veranlagen musst. Dies wird bei dir natürlich zu finanziellen Einbußen führen, aber der Gesetzgeber hat diese bedauerliche Folge nun einmal so gewollt.
    Ich denke, dass mit diesem Schreiben die wichtigsten Fragen für den Augenblick geklärt sind. Das Thema Zugewinn habe ich nicht eigens behandelt. Das werde ich klären, wenn Scheidungsantrag gestellt ist. Überschlägig dürftest du ausgleichspflichtig sein. Das interessiert im Moment jedoch nicht.
    Gern hätte ich meinen Brief an dein neues Heim gesandt, doch leider ist mir – und auch Lisa – die genaue Adresse deiner Huckarder Unterkunft nicht bekannt.
    Helmut.
     
    Knobels Wut über diesen Brief hatte ihn puterrot anlaufen lassen und trieb ihn sofort in das Büro von Kollegin Meyer-Söhnkes. Die Kühle, die nach seinem Empfinden die blasse Frau mit dem Sommersprossengesicht ausstrahlte, wirkte in diesem Augenblick als die einzig richtige Emotion, die seine Wut zu neutralisieren vermochte.
    Frau Meyer-Söhnkes brütete über dicken Akten, die zum Teil bereits zu mehreren Aktenordnern angewuchert waren, die mit Gürteln zusammengebunden waren.
    »So sind Familiensachen«, erklärte Frau Meyer-Söhnkes und benannte die Akten, die im Laufe der Jahre zu mehrbändigen Vorgängen herangewuchert waren und Frau Meyer-Söhnkes auf gewisse Weise stolz machten: Grundner gegen Grundner , Dürfeld gegen Dürfeld , Patberg gegen Patberg und Zaiczek ./. Zaiczek .
    »Jeder dieser Fälle umfasst bereits mehr als fünf Aktenordner!«
    Dann überflog sie den Brief seines Schwiegervaters und schien eigentümlich beglückt. »Ich sehe ja, da kommt Feindschaft auf«, und ihre Stimme hob sich triumphierend.
    »So sind Familiensachen«, wiederholte sie. »Da werden wir alle Register ziehen, lieber Kollege«, und es folgte ein Schwall von rechtlichen Strategien. Die unerträgliche Stimme von Frau Meyer-Söhnkes mündete nun fast in ein Kreischen.
    »Einstweilige Anordnung«, wiederholte sie immer wieder, und Knobel, innerlich dem Gespräch fern, registrierte allmählich, dass er um Malin kämpfen solle.
    »Einstweilige Anordnung«, riet Frau Meyer-Söhnkes eindringlich.
    »Ach nein«, schloss er, »ich möchte nur, dass Sie dieses Papier nehmen und eine Akte Knobel, Beratung anlegen. Wenn möglich, verstauen Sie die Akte in Ihrem Büro. Der Inhalt geht hier keinen etwas an. Aber ich möchte einfach«, und jetzt stiegen ihm doch Tränen in die Augen, »ich möchte diesen Kram nicht lesen müssen.«
    »Aber Sie werden sich der Sache stellen müssen«, erwiderte Frau Meyer-Söhnkes und versicherte hastig:
    »Sie sind bei mir in den besten Händen.«
    Für Knobel klangen diese Worte nicht verheißungsvoll, sondern fast wie eine Drohung.
    »Zumindest wegen Malin«, meinte Frau Meyer-Söhnkes, und ihre Stimme wurde unerwartet sanft. Knobel erinnerte sich an ihren unerfüllten Kinderwunsch.
    »Sie lieben doch Ihr Töchterchen«, fügte sie hinzu.

18
    Abends war Knobel bei Marie.
    »Mit Malin hat deine Kollegin schon recht«, meinte sie. »Du erzählst nie von ihr. Ich weiß nicht einmal, ob du sie vermisst.«
    Ja, sicher vermisste er Malin, und hatte doch zu keinem Zeitpunkt so empfunden, wie es wohl bei anderen jungen Vätern war. Knobel erinnerte sich, in der kurzen Zeit ihrer Ehe eilig all jene Schritte vollzogen zu haben, die zu tun erstrebenswert erschienen, weil sie andere genauso machten. Ein Haus, ein Kind. Wie lohnenswert erschienen diese Ziele! Ihre Hochzeit wurde schon von diesen Zielen geprägt, ohne dass Lisa damals bereits schwanger oder ihr eigenes Haus an der Dahmsfeldstraße konkret geworden war. Aber dass ihr Weg in Kürze zu Nachwuchs und zu einer eigenen Immobilie führen würde, war unzweifelhaft und fand in den Wünschen der Hochzeitsgäste, den Tischreden, in dem einen oder anderen Hochzeitsgeschenk und in der unausgesprochenen Erwartung aller Ausdruck, mit denen sie familiär oder freundschaftlich in Kontakt standen.
    Knobel hatte sich, das wurde ihm immer klarer, keine Gedanken gemacht. Er tat, was man für gewöhnlich in seiner Situation tat, und dieses Tun war allgemein anerkannt und deshalb normal. Unauffällig und in den Konturen weit nach vorne gezeichnet. Ohne Fehl und Tadel, auf Fortgang ausgerichtet, eingebettet in soziale Anerkennung, eingeschliffene Rituale, die in ein Leben führten, das wie ein Kindermalbuch vom Autor vorgezeichnet und nun nur noch farbig ausgemalt werden musste. Knobel erinnerte sich, dass er das

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