Todeserklärung
und Sebastian variiert es. Aber es spricht viel dafür, dass er nur mit Elementen spielt, die man mit dem Süden verbindet. Es ist nicht von ungefähr, dass man seine Stadtbilder mit Palma de Mallorca, aber seine Landschaftsbilder nur mit dem Süden im Allgemeinen assoziiert. Die Landschaftsbilder sind beliebig, die Stadtbilder konkret.«
»Dann bleibt noch das sogenannte Nonsensbild «, erklärte sie und rief es im Computer auf.
Knobel fand nun erstmals Gelegenheit, das Bild eingehender zu betrachten. Marie sah ihn erwartungsvoll an, dann meinte er:
»Nach einem Nonsensbild sieht es eigentlich nicht aus.«
»Genau«, rief Marie begeistert aus.
»Warum?!«
»Weil Sebastian auf dem Bild eine Menge teurer Ölfarbe verstrichen hat und ich mir nicht vorstellen kann, dass er dies einfach so tut.«
»Das erscheint mir noch nachvollziehbar«, entgegnete sie. Sie wechselte zu den Stadtbildern zurück. »Alle Bilder haben viele Gelbanteile, sodass beim Malen viel gelbe Farbe übrig bleiben dürfte. Zumal der gelbe Untergrund nicht die überschüssige Farbe nur eines einzigen anderen Bildes sein muss. – Was aber sicher auffällt: Die schwarzen Linien sind nicht mit Restfarbe gestrichen worden. Denn es handelt sich um reines, tiefes Schwarz, welches sich in den uns bekannten anderen Bildern Sebastians nur ganz selten findet. Soweit Sebastian dunkle Töne in seinen anderen Bildern verarbeitet hat, handelt es sich um Mischtöne. Reines Schwarz findet sich nur ganz selten. Und er hat es auch nie in größeren Mengen gebraucht. Das Schwarz ist so intensiv, dass es schnell in jeder Mischung dominiert. Also hat Sebastian für seine Bilder die schwarze Farbe in nur ganz geringen Mengen gebraucht. Niemals wäre so viel schwarze Farbe übrig geblieben, dass sie für das Gitternetz auf diesem Bild gereicht hätte. Er hat also die Farbe nur und von Anfang an für dieses Bild gebraucht. Und schließlich: Das rote Herz ist so sorgfältig und geradezu plastisch gemalt! Alles in allem: Ich glaube nicht, dass es sich um ein Nonsensbild handelt! Sebastian hat sich dabei etwas gedacht und nicht nur überschüssige Farbe verstrichen. Er wollte genau dieses Motiv malen.«
»Warum ist es eine Liebe hinter Gittern?«, fragte Knobel.
»Genau genommen ist das Herz nicht hinter , sondern vor dem Gitter«, erwiderte Marie. »Jedenfalls aus Sicht des Betrachters.«
»Also doch nicht Das gefangene Herz ?«
»Wir müssen nach Mallorca!«, meinte Marie, und Knobel spürte ihre Lust, unter dem Vorwand der aufklärungsbedürftigen Fragen mit ihm die ersten gemeinsamen Tage außerhalb Dortmunds zu verbringen.
20
Knobel saß morgens kaum wieder in seinem Büro, als Gregor Pakulla unangemeldet in der Kanzlei erschien. Frau Klabundes Lesebrille war bis auf die Nasenspitze heruntergezogen, als sie in Knobels Büro zur Seite trat und mit knappen Worten Herrn Pakulla hineinbat.
»Der Herr Pakulla hat es ganz dringend gemacht«, bemerkte sie spitz, sah Knobel über ihre Brillengläser an und ließ unausgesprochen wissen: Er ließ sich nicht abwimmeln, nicht einmal vertrösten.
»Aber meine liebe Frau Klabunde«, gab Knobel freundlich zurück, »es macht ja nichts! Seien Sie doch so lieb und bringen Kaffee und etwas Gebäck!«
Diese Worte erzürnten sie sichtlich. Sie hatte auf ihren verschwörerischen Einleitungssatz eine Antwort erwartet, die sie versteckt bestätigte, etwa ein gedehntes Ja, wenn es denn sein muss.
»Wenn Sie da sind, sind Sie da!«, eröffnete Knobel stattdessen lächelnd, bat höflich seinen Mandanten, Platz zu nehmen, und Gregor Pakulla glitt auf einen der Besucherstühle vor seinem Schreibtisch.
»Ich habe Sebastian jetzt bei der Polizei als vermisst gemeldet«, eröffnete sein Mandant, »verzeihen Sie, aber ich konnte nicht mehr länger warten.«
Knobel lehnte sich in seinen Sessel zurück. Frau Klabunde erschien in diesem Augenblick in seinem Büro, servierte mit heimlicher Wut Kaffee und Gebäck und demonstrierte ihren Unmut, indem sie die gefüllten Kaffeetassen so hart abstellte, dass das Getränk geringfügig überschwappte.
»Das ist lieb!«, antwortete Knobel, und er zwinkerte Frau Klabunde vertraulich zu, was diese nicht bemerkte und sich deshalb noch mehr erzürnte. Die Zimmertür schlug deutlich hörbar zu, und Knobel bat seinen Gast, doch erst einmal einen Schluck Kaffee zu trinken.
»Sie haben Sebastian also als vermisst gemeldet«, wiederholte er. »Wo?«
»Beim Polizeipräsidium Dortmund«, antwortete sein
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