Todeserklärung
redet. Hätten Sie Lust, immer nachzufragen? Dinge, die Sie nicht wirklich interessieren. Bloß, weil einer ausdauernd redet, Sie mit Worten überschüttet, interessiert Sie das Ganze nicht wirklich. Ich wollte nicht plötzlich Sebastians Freund werden.«
»Das kann ich verstehen«, trug Knobel jetzt zur Unterhaltung bei und nahm die Rolle desjenigen ein, der für Theodoridis’ Passivität Partei ergriff.
Marie blieb die Neugierige. »Und seither gießen Sie Blumen, nehmen die Post aus dem Kasten und lüften gelegentlich die Wohnung. Seit rund fünf Monaten?!«
»Er hat zwischendurch mal angerufen«, erwiderte Theodoridis.
»Wann?«
»Ungefähr zwei oder drei Wochen später. Ich solle nur weiterhin jeden Montag und jeden Freitag die Blumen gießen, sagte er. Post aus dem Kasten holen usw. wäre nicht mehr nötig. Das würde ein Freund erledigen, der immer mal vorbeikomme. Weil er Geschäftspost von Galerien und so erwarte. Die Post müsse er beantworten. Und sein Freund würde die Post abholen und nachsenden. Ich sollte nicht so viel Arbeit mit ihm haben. Und keine Kosten«, sagte Theodoridis.
»Wer war der Freund?«
»Weiß nicht.«
»Haben Sie ihn jemals gesehen?«
Der Grieche schüttelte den Kopf.
»Aber er muss da gewesen sein. Reklame und so hat er aus dem Briefkasten gezogen. Gehen Sie in die Küche, da liegt der ganze Kram auf einem Regal.«
»Hat Sebastian noch einmal angerufen?«
»Ein oder zwei Mal noch. Auch noch nach Neujahr. Er hat mir ein gutes Neues Jahr gewünscht und gefragt, ob in der Wohnung alles okay sei.«
»Sonst nichts?«
»Sonst nichts«, bestätigte Theodoridis. »Ich sagte ja: Er ist mein Nachbar, nicht mein Freund.«
»Das ist ja auch sehr verständlich«, pflichtete ihm Knobel bei.
»Dann wissen Sie bestimmt auch nicht, ob er eine Freundin hatte?«
Maries Frage war ungeschickt.
»Ich denke, Sie sind seine Freunde. Sie stellen Fragen, auf die seine Freunde doch eine Antwort haben müssten.«
Theodoridis’ Misstrauen war entfacht.
»Ich bin Rechtsanwalt«, erklärte Knobel und fingerte umständlich den Anwaltsausweis der Anwaltskammer Hamm aus seinem Portemonnaie, zeigte ihn flüchtig, wobei er mit dem Daumen seinen Namen verdeckte.
»Wenn wir sagen, dass wir Sebastians Freunde sind, ist das so zu verstehen, dass wir gute Bekannte sind. Ich bin ein Schulfreund Sebastians. Und Sie wissen ja, wie das mit Schulfreunden ist. Man sieht sich nicht häufig. Manchmal nur ein oder zwei Mal im Jahr. Da bekommt man nicht alles mit, was der andere macht und plant.«
»Weshalb will er feiern?«, fragte der Grieche.
»Er hat allen nur gesagt, dass es etwas Großes zu feiern gebe, wenn er wiederkomme«, spann Knobel die Geschichte fort, die sich aus der Erzählung des Griechen ergab.
»Alles ist doch ganz normal«, meinte Theodoridis. »Sebastian ist ein paar Monate weg, er hat hier alles organisiert, alles funktioniert, und bald macht er eine große Wiedersehensfeier, und nur sein Bruder vermisst ihn und macht großes Theater.«
Herr Theodoridis schnaufte überdrüssig. Ohne Zweifel wollte er auch nicht weiter mit Knobel und Marie debattieren.
»Bitte nur noch einen Blick auf seine Bilder!«, bat Marie.
Der Grieche verdrehte die Augen, doch Marie wartete keine Antwort ab und ging ins Atelier und zückte unversehens ihre Digitalkamera.
»Was soll das jetzt?«
Die Stimme des Griechen verriet aufkeimende Wut.
»Wir machen für Sebastian einen Prospekt«, erklärte sie, während sie darauf achtete, dass die Kamera das Motiv richtig erfasste, bevor sie auslöste.
»Einen Prospekt, in dem alle Bilder enthalten sind, die wir im Moment auffinden können«, erklärte sie.
»Und das sind natürlich nicht nur diese hier«, wobei sie das nächste Motiv ins Visier nahm, »sondern auch die, die es in Galerien zu kaufen gibt. Sebastian hat bald Geburtstag«, fabulierte sie, »und da werden wir eine Collage aus seinen Bildern basteln. Motive aus seinen Bildern und darin Fotos von all seinen Freunden.«
Marie fotografierte nun auch das Nonsensbild, wandte sich dem Griechen zu und lächelte.
»Sie haben uns sehr geholfen, danke!«, sagte sie.
»Wir haben Ihre Geduld überstrapaziert. Entschuldigen Sie bitte!«, fügte Knobel hinzu.
17
Am nächsten Morgen wurde Knobel erstmals Postkönig.
Dr. Hübenthal bemerkte es mit anerkennenden Worten, Löffke quittierte es mit einem abfälligen Zischen und dem dieser Gelegenheit vorbehaltenen Hinweis, dass er in den nun zurückliegenden ersten
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