Todesfessel - Franken-Krimi
Einlauf.«
Charly verkniff sich einen ironisch-ungläubigen Einwurf und wartete interessiert ab.
»Vom Theater kommen keine?«
»Nee. Echte Schauspieler leben sich doch in ihrem Beruf aus.«
Als Corinna schwieg, wechselte er, nicht ohne heimliches Bedauern, das Thema.
»Neulich hab ich mal ‘ne ganz komische Fesselung gesehen … hast du mal Papier da?« Er zückte seinen Kugelschreiber, während sie ihm mit ihren schwarz lackierten, langen Fingernägeln ein abgenutztes Sudoku-Heft zuschob. Sorgfältig malte er auf den freien Rand das rautenartige Geflecht, mit dem Kim LaYoung verschnürt war.
»Hier«, er markierte mit dicken Punkten, »da waren richtige Knoten dabei … ihre Brüste waren aber frei.«
»Shibari … ja, das war mit Sicherheit Shibari!«
»Shibari?«
»Japanische Bondage. Is eigentlich mehr so ‘ne Fesselkunst … exotisches Kunsthandwerk, das trifft’s vielleicht am besten. Wird bei uns nur ganz selten nachgefragt, haben wir auch gar nicht im Angebot, du hast ja alle Bilder gesehen.«
Charly kratzte sich verloren am Kinn. Enttäuschung machte sich in ihm breit, der SM -Reiz und sein ganz persönlicher »Corinna-Kick« waren schlagartig verflogen.
Eine Sackgasse.
Ein verlorener Abend.
Endloser Ermittlerfrust.
Er spürte Hohlheit; fast schmerzhafte, völlige Leere.
Erst jetzt bemerkte er, wie abgestanden die Luft hier war. Unglaublich, dass Corinna alias Cora diesen halbdunklen Mief hier jede Nacht aushielt. Wie viele mochten hier schon bei ihr und ihren ungezählten Vorgängerinnen durchgekommen sein, neugierig, ängstlich, nervös, erregt; in den letzten Monaten … Jahren … Jahrzehnten?
Aus weiter Ferne hörte er bedrohliches Rumpeln. Für den ganzen Thüringer Wald waren heute Nacht schwere Gewitter vorhergesagt. Wo Bernie wohl gerade steckte?
»Was war hier eigentlich früher?«, fragte er Corinna, die gelangweilt mit ihrem Maniküre-Set spielte.
»Ist da was dran an der Story mit dem schwulen Sowjet-Oberst?«
Sie nickte langsam. »Denke schon. Wolfgang, Harrys Vorgänger, hat da einiges gewusst. Dieser Panenkow muss ein echter Sadist gewesen sein. Er hatte hier ja völlige Narrenfreiheit, musste keinen Volkspolizisten fürchten. Und bei seinen perversen Privatspielchen hier oben im Wald, da waren anscheinend nicht nur Freiwillige dabei.«
»Was meinst du mit ›anscheinend‹?«, fragte Charly misstrauisch.
»Na ja, ein junger Russe aus Panenkows Einheit ist doch nie mehr aufgetaucht. Er soll hier achtundvierzig Stunden lang qualvoll verreckt sein.«
»Wie das?«
»Er wurde gefesselt und nackt auf einen angespitzten Holzpfahl gesetzt. Obendrauf, mit Zug nach unten. Und die Schwerkraft hat dann langsam den Rest besorgt. Er ist langsam verblutet, Millimeter für Millimeter. Hat sich sozusagen selbst gepfählt.« Sie legte ihr Maniküre-Set zur Seite, kam näher und schaute Charly zum ersten Mal direkt in die Augen.
Er konnte ihren Sekt-Atem riechen, als sie langsam fortfuhr: »Ziemlich genau da, wo du jetzt sitzt.«
* * *
Er spürte förmlich die Blicke hinter seinem Rücken. Nur nicht umdrehen jetzt, nix riskieren … Er nippte an seinem weißen Tässchen. Typischer Tankstellen-Espresso, leicht muffig, wie aus einem alten Pappbecher. Und nicht mal richtig heiß. Versiffte Tanke, dachte er verdrossen und kippte noch den Rest des Zuckerpäckchens in das Tässchen.
Was für ein Autofahrer-Abschaum.
Litauische Trucker und, als Local Heroes diese drei pubertären Polo-Wichser. Ein krönender Abschluss für diesen Pleiten-, Pech- und Pannenabend.
Bittere Enttäuschung, selbst in der Galerie, in der Vernissage zum Schweinfurter »Tag des offenen Ateliers«: sofort Getuschel und Geraune über ihn, irritierte Blicke. Er war auf Anhieb isoliert.
Mit einem Prosecco hatte er sich in die Ecke zurückgezogen, scheinbar versunken in »Metamorphose V « . Bis diese dämliche fette Pute in ihren bunten Pluderhosen auf ihn zugekommen war, ihn ernsthaft gefragt hatte, ob er denn Teil dieser beeindruckenden Installation sei? Wortlos hatte er sie stehen gelassen, war hinausgestöckelt in die Septembernacht, die Kehle zugeschnürt von Schmerz und Bitternis …
Plötzlich ein stechendes Zucken in der rechten Wade! Drohte jetzt zu allem Überfluss auch noch ein Wadenkrampf, hier, mitten in der ARAL -Tankstelle Maintal an der A70? Er biss auf die Zähne, stellte den Fuß auf die Trittstange am Tresen und versuchte vorsichtig, die verhärtete Wade zu dehnen … weiter … weiter …
Zu
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