Todesfessel - Franken-Krimi
weiter, kriegen wir eine Serie, was kann jetzt noch alles kommen?«
»Ein Satz heiße Ohren könnte kommen«, giftete Charly, »wenn du weiter dei Mozzarella auf unsere Tatortfotos spotzt!«
Tom versuchte ihn zu beschwichtigen: »Is doch eh gleich neun, Charly!«
»Hast recht – wir zwei knöpfen uns jetzt erst mal Kims letzten Gastgeber vor. Auf zu Victor!«
»Bin dabei, Chef.« Tom angelte nach seiner Regenjacke. »Auf zum Paradiesvogel!«
Gemeinsam liefen sie die Treppe hinab, vorbei an der Vitrine mit den Schauwaffen, hinaus in den ungemütlich feuchtkühlen Morgen.
»Acht Grad am fünfzehnten September, acht Grad!«, schimpfte ein Hundeführer, der breitbeinig an der geöffneten Heckklappe seines Dienstkombis stand. »Der kälteste und feuchteste September in Franken seit neunundfünfzig Jahren, stellt euch das mal vor!«
»Genau, Kollege«, pflichtete ihm Tom sofort bei. »Wo bleibt der Klimawandel? Ich hab ein Recht auf Klimawandel!«
Grinsend bestiegen sie Charlys schwarzen Alfa Spider und rollten, als sich das schwere graue Stahlschiebetor öffnete, langsam aus dem Hof hinaus, vorbei am benachbarten Finanzamt auf die Rodacher Straße.
»Und Victor war definitiv Kims letzter Gastgeber«, überlegte Tom laut und verschränkte die Arme hinter dem Kopf. »Mensch, ich werd mich nie an eine Karre ohne Kopfstützen gewöhnen … Irgendjemand muss Kim doch gesehen haben, wann und mit wem sie gegangen ist; wir brauchen eine Gästeliste von diesem Atelierfest.«
Charly schnippte lässig mit den Fingern. » No problem . Lass dir von der IHK die fünfzig Top-Unternehmer der Region nennen, hole zwei Dutzend Banker und Freiberufler dazu und garniere mit einer Handvoll Politikern und Theaterleuten – fertig ist das legendäre Atelierfest!«
»Und des sin dann erst die Männer …«
Sie fuhren Richtung Westen, einen lang gezogenen, sanften Anstieg aus der Stadt heraus. Zwischen nassen dunkelgrünen Wiesen und einem bewaldeten Hang lief das graue Asphaltband des Kürengrunds.
»Scheuerfeld 2 km«.
»Der Meister residiert wohl draußen im Grünen?«, fragte Tom ironisch. »Fotografen und Aktionskünstler gehören doch in ein Loft in der City, oder?«
»Manche Klischees lassen sich auch vom Stadtrand aus bedienen«, erwiderte Charly trocken und zerbiss ein altes Zitronenbonbon, das er in den Tiefen seiner Lederjacke gefunden hatte. »Wart’s ab, wir sind gleich da.«
Eine lange Linkskurve, an ihrem Ende zeigte ein Wegweiser nach rechts: »Ernstfarm«. Gleich darunter die feuerrote Reklame für mittelfränkisches Bier, von Tom sofort erfreut vorgelesen: »Das gute Zirndorfer – in den Handwerkerstuben Ernstfarm!«
Im Schritttempo holperten sie zwischen Äckern, Wiesen und Pferdekoppeln über einen Schotterweg, der von alten Linden gesäumt war, bis zur Ernstfarm: Einst herzoglich-coburgisches Gut, hinter seinen historischen Fachwerk-, Sandstein- und Ziegelfassaden hatten sich in den letzten Jahren Werkstätten, Ateliers und Kleingastronomie etabliert.
»… ein exklusives Refugium für Künstler und Kunsthandwerker!«, deklamierte Charly beim Aussteigen.
»Und solche, die sich dafür halten«, merkte Tom an. »Vielleicht auch Fesselungskünstler, geisteskranke japanische …« Er stopfte die Hände in die Taschen seiner schwarzen Jeans und betrachtete skeptisch die Hausfassade, vor der sie parkten. Über einer massiven alten Eichenholztür spannte sich ein schlichtes, aber effektvolles gespraytes Werbebanner. Schwarz, bordeaux und silbern: » VICTOR – Studio für Kunst und Fotografie. Termine nach Vereinbarung. www.victor-art-event.de«.
Aus einem kleinen Werkstattgebäude, mit Schild »Kunstschmiede«, war das Zischen eines Schweißgeräts zu hören. Irgendwo schlug ein Hund an. Der Wind frischte auf und trug den Geruch des nassen Grases von der Pferdekoppel herüber.
Charly drückte den schwarzen Klingelknopf, der, vermutlich aus rein ästhetischen Gründen, in Kopfhöhe angebracht war. Nichts. Kein Klingeln, keine Reaktion im Hausinneren. Charly drückte wieder. Einmal, zweimal, ließ beim dritten Mal den Finger auf dem Knopf.
Endlich hastige Schritte, die Tür ging einen Spalt auf, ein verstrubbelter Blondschopf streckte den Kopf heraus.
»’tschuldigung«, lachte er, »wir hatten ein kleines Problem im Labor … Sind Sie etwa von der GEZ ?« Misstrauisch kniff er die Augen zusammen. Der Hund hörte endlich auf zu bellen.
»Kripo Coburg … Herrmann; das ist mein Kollege Scherzer.« Charly
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