Todesfessel - Franken-Krimi
Schulter geklemmt, zerknüllte er seinen Notizzettel und feuerte ihn in Schnauzers Papierkorb.
»Wie? Sie dürfen die Handynummer nicht herausgeben … ach so …« Er verdrehte die Augen zur Zimmerdecke und stöhnte leise, bevor er mit Engelsgeduld fortfuhr: »Wie lang dauert denn die Probe noch? Vierzehn Uhr? Und wo ist das heute? Das Theater ist doch noch gesperrt … Was, im alten Proberaum beim Thüringer Kreuz?« Er fuhr wieder hoch. »Nein danke, genügt mir. Da kann ich doch gleich zu Fuß hinüber!«
Einen Wimpernschlag zu spät startete Charly zu seinem Spurt über die dicht befahrene Neustadter Straße.
Vollbremsung, Reifenquietschen, erzürntes Hupen; ein adrenalinbefeuerter Drei-Meter-Satz auf den rettenden Gehsteig. Hinter ihm johlten Tom und Schnauzer begeistert am offenen Fenster.
Nicht umdrehen, Hände in die Taschen, ganz ruhig weitergehen … ignorier das braun gebrannte Rumpelstilzchen in seinem aufgemotzten SLC …
Nora Henderson stand in der offenen Tür, ein gertenschlanker Teenie mit großen braunen Kulleraugen hing an ihren Lippen. Charly kannte ihr Gesicht aus der Zeitung: Ann-Sophie Langenau, sechzehn Jahre. Vor Kurzem hatte sie ein Stipendium der Heinz-Bosl-Stiftung für die international renommierte Ballett-Akademie der Münchner Hochschule für Musik und Theater bekommen.
»Du bist auf einem sehr guten Weg jetzt, Ann-Sophie; du bist bestens vorbereitet für München! Lass uns in Kontakt bleiben, ruf mich an und komm unbedingt in den Ferien noch mal vorbei … ah, da ist ja dein Vater, guten Tag, Herr Dr. Langenau!«
Verwundert folgte Charly ihrem Blick und drehte sich um: der braun gebrannte Mercedes- SLC -Fahrer, kein Rumpelstilzchen, sondern ein untersetzter Modellathlet in Jeans, weißem Hemd und edlem Leinensakko. Wie zuvor schon Nora würdigte er Charly keines Blickes und ging lächelnd auf die Choreografin zu.
»Tag, Frau Henderson! Schön, dass wir uns mal außerhalb der Praxis sehen! Ich hoffe, Ann-Sophie ist nicht allzu frustriert von ihrem Spezialtraining.« Jovial legte er den Arm um seine Tochter, was diese mit genervtem Blick quittierte.
»Sie wissen, dass ich nur in ganz besonderen Fällen Einzelstunden gebe. Und Ann-Sophie ist nun mal ein echtes Ausnahmetalent, wie wir es in Coburg schon viele Jahre nicht mehr hatten.« Sofort entspannte sich Ann-Sophies Miene wieder. »Sie soll unbedingt noch mal vorbeischauen, bevor sie nächste Woche nach München geht! Tschüss, Herr Dr. Langenau!«
»Tschüss, Frau Henderson!« Dr. Sven Langenau und seine Tochter stiegen in den schwarzen SLC . Ein kurzes Winken, dann endlich schien Nora Henderson den stillen, interessierten Beobachter am Zaun zu bemerken.
»Guten Tag – woher kenne ich Sie?« Ihre dünnen schwarzen Augenbrauen schoben sich fragend zusammen.
»Herrmann – Kripo Coburg.«
Hinter Nora kamen jetzt die ersten Tänzer und Tänzerinnen aus dem Haus. Ernst, abgekämpft, verschlossen. Nur eine hübsche kleine Asiatin streifte ihn neugierig mit ihrem Blick.
Keine Zeit für spontane Improvisationen.
Er konzentrierte sich ganz auf Nora: aufrecht, selbstbewusst, das ansatzgraue dunkle Haar straff nach hinten gebunden.
»Zumindest kommen Sie nicht in Uniform.« Ihr Sarkasmus war unüberhörbar.
»Kriminalpolizei ermittelt nie in Uniform«, parierte er gelassen. »Ich hätte da noch ein, zwei Fragen an Sie.«
Ihr Blick verfinsterte sich. »Kommen Sie mit.«
Sie ging voraus in ein winziges Behelfsbüro: Stuhl, Schreibtisch, Regal mit Laptop, DVD -Player und TV -Gerät. Nebenan der Proberaum. Durchs Fenster sah Charly in den grauen Innenhof mit abgeblättertem Putz.
Nora Henderson ergriff sofort die Initiative. »Was wollen Sie noch von mir wissen?«
Charly strich bedächtig mit dem Finger über ein verstaubtes Regalbrett. »Wie war Ihr Verhältnis zu Kim? Welche Probleme gab es in letzter Zeit?«
Sie zögerte nur kurz. »Keine anderen als sonst. Sie kam bekanntlich aus Berlin und dachte immer noch, sie muss hier etwas weniger machen als die anderen.«
»Was dachten Sie?«
»Dass sie genau deshalb etwas mehr machen muss. Im Interesse des Ensembles und in ihrem eigenen Interesse.«
»Hat sie das eingesehen?«
»Natürlich nicht«, erwiderte sie leicht gereizt. »Es gab natürlich … Meinungsverschiedenheiten. Wie in jedem Ensemble.«
Charly dachte nach. »Was wissen Sie über ihr Privatleben? Mit wem war Kim liiert?«
»Ich werde bestimmt keine schmutzige Wäsche waschen, Herr Kommissar!«, zischte sie
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