Todesfessel - Franken-Krimi
das etwas?«
Victor schüttelte verständnislos sein gestyltes und gegeltes Haupt. »Nie gehört. Was soll das sein?«
»Schon gut, nicht so wichtig.« Charly winkte ab. »Andere Frage: Wie hat sich Kim benommen, wie war sie drauf beim Atelierfest? Ist Ihnen da irgendwas aufgefallen, hatte sie Streit mit jemandem?«
»… oder besonders innigen Kontakt?«, fügte Tom süffisant hinzu.
»Ah, ich verstehe … ›Victors Atelierfest‹, die große Orgie, der fränkische Sündenpfuhl!« Wieder hatte eine spöttische Anmerkung Toms gereicht, um den dünnhäutigen Künstler aus der Fassung zu bringen. »Das sind doch alles kleinbourgeoise Neidphantasien, diese provinziellen, spießig-verklemmten Moralapostel!«
»Stopp!« Charly hob gebieterisch die Hand, unterbrach Victors neuerliche Suada. »Es geht nicht um Ihr Fest, Victor! Es geht um Ihren Gast, der auf dem Heimweg grausam ermordet wurde. Und wir wollen mit Ihrer Hilfe Kims Mörder finden!«
Victor schwieg und steckte sich mit störrischer Miene wieder eine Dannemann an.
»Kim war in der Tat nicht einfach«, sagte er leise. »Sie hat sich jeden Tag mit irgendwem gekabbelt. Auch am Samstag. Das fiel doch gar nicht richtig auf.«
»Aber Ihnen ist es aufgefallen«, bohrte Charly sofort weiter. »Sie sind Künstler, Sie sind ein aufmerksamer, sensibler Beobachter: Mit wem hatte Kim Zoff? Wer ist mit ihr oder kurz nach ihr gegangen?«
»Sie kam allein und ging allein. Und ich habe nur einen gesehen, mit dem sie sich kurz in die Haare geriet. Nur weil er an der Bar mal kurz getatscht hat.«
»Wer war das?«
»Frauenarzt Sven Langenau, Kims Vermieter.« Victor streckte die Beine aus und stieß mit verschränkten Armen genüsslich Rauch aus. »Und jetzt verlassen Sie bitte mein Atelier. Sie verstopfen jeden positiven Energiefluss hier … Ihre trockene Phantasielosigkeit … Sie zerstören jede Kreativität schon im Ansatz!«
Ungerührt kratzte Charly mit dem Espressolöffel noch einen kalten Zucker-Crema-Rest aus der Tasse.
»Gefährliche Ansagen, Victor. Genau das suchen wir nämlich: einen kreativen, phantasievollen, energiegeladenen … Gewalttäter!« Er stand auf. »Danke für den Kaffee, den nächsten geben wir aus – und zwar bei uns, auf der Dienststelle. Ciao!«
Mittwoch
10:55 Uhr – SOKO Franken
»Victor steht mit auf der Liste der Tatverdächtigen, Kollegen!« Charly hob den Kuli, stach rhythmisch nach vorn. »Er ist ein potenzieller Crossdresser, der sich schminkt und sein Aussehen laufend verändert. Er wirkt sprunghaft, emotional labil; ich halte ihn zumindest für manisch-depressiv.«
»Was für einen Haftbefehl leider noch nicht ganz reicht«, stellte Oberstaatsanwalt Dr. Stein trocken fest.
»Stimmt. Uns fehlt vor allem noch ein plausibles Motiv für Victor«, gab Charly zu. »Er beschreibt Kim lediglich als Sturkopf und gibt nur zu, dass er am Tatabend einen kleinen Streit mit ihr hatte, weil sie schon um null Uhr fünfundvierzig ging.«
»Nicht zu vergessen sein Alibi«, stellte Stein vorwurfsvoll fest. »Er war doch Gastgeber des Atelierfestes! Dauert erfahrungsgemäß bis fünf Uhr früh!«
Verplappert, dachte Charly. Warst also auch schon zu Gast auf Schloss Hohenstein.
Laut sagte er: »Hier stehen unsere Ermittlungen noch ganz am Anfang. Victor hat uns eine Gästeliste zugesagt; aber gerade bei diesen Massenalibis ist Vorsicht geboten: Zweihundert Leute sehen sich über Stunden hinweg immer wieder, aber wem fällt es denn wirklich auf, wenn einer mal ein Stündchen fehlt? Auf Victor ist ein schwarzer BMW Z 3 zugelassen; damit kann er ohne Weiteres in fünfzig Minuten von Hohenstein zum Landestheater fahren, im Blutrausch explodieren und sich sofort wieder zu Hause unters feiernde Volk mischen.«
»Wie sieht’s mit Spurensicherung im BMW aus?«, fragte Ritter. »Haben wir eine Chance, Herr Oberstaatsanwalt?«
»Absoluter Ausnahmefall; ich denke, ich kann den Richter überzeugen. Ganz Coburg steht unter Schock, ein solches Verbrechen hier in unserem Theater, am Tag der glanzvollen Wiedereröffnung, quasi unter den Augen des Ministerpräsidenten …« Stein brach ab, schüttelte den Kopf.
»Genau das ist es.« Löhlein rieb sich sorgenvoll das Kinn. »Verheerende Außenwirkung, wenn wir bei diesen Tatumständen scheinbar im Dunkeln tappen. Wir müssen was vorweisen, die SOKO Franken muss schleunigst in die Offensive, Charly!«
Alter Phrasendrescher … pure Hilflosigkeit, ein ganz normaler Ermittlungsstand nach zweiundsiebzig
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