Todesfessel - Franken-Krimi
Stunden!
Charly schraubte langsam ein 0,5er Frankenbrunnen-Mineralwasser auf. Zischend entwich die Luft.
»Wir sind drauf und dran, Chef. Die Freunde von der Presse werden professionell bei Laune gehalten. Und wenn ich richtig sehe, fährt draußen gerade unsere Profilerin, Verzeihung, Fallanalytikerin aus München vor. Die SOKO Franken arbeitet jetzt also in Bestbesetzung!«
»Servus, Charly!«
Bayerischer Akzent sollte Frauen vorbehalten bleiben, dachte Charly. Was bei seinen Geschlechtsgenossen im Allgemeinen und Staatssekretären im Besonderen oft nur dümmlich-großspurig wirkte, klang bei Frauen exotisch, verlockend und verheißungsvoll …
»Servus, Bärbel – willkommen im Club!«
Genüsslich drückte er Barbara Antlkofer an sich, einen Tick fester und länger als nötig. Die dunkelhaarige Münchnerin mochte seit ihrem letzten Einsatz in Franken zwei Kilo zugenommen haben, doch die fühlten sich großartig an …
Endlich schob sie ihn von sich, funkelte ihn aus ihren großen graublauen Augen an: »Hosd du des scho vergessn – i mog des schiache ›Bärbel‹ ned!«
»Ich hab gar nix vergessen – ich mouch des, wenn du dich so bayerisch aufregst!«
Entspannt setzte er sich auf seinen Schreibtisch. Der Duft ihres Haares war ein Schlüsselreiz für ihn, löste intensive Erinnerungen aus an ihre gemeinsame Nacht vor zwei Jahren.
Ihre Blicke trafen sich, spielten eine sekundenlange Ewigkeit jenes uralte Spiel miteinander, bis ihre Lippen sich spöttisch zu kräuseln begannen.
»Vergiss es.«
Er fühlte sich ertappt, fürchtete kurz, wie ein Schuljunge zu erröten, und ärgerte sich sofort über sich selbst.
»Was denn?«
»’s war schee damals … aber damals woar i solo!«
Er nickte langsam und versuchte, sich nichts anmerken zu lassen.
» No problem . Wir sind Profis, Barbara.«
Antlkofer präsentierte sich in Höchstform, wie Charly neidlos anerkennen musste. Keine drei Stunden nach ihrer Ankunft legte sie der SOKO -Führung im Lageraum »eine erste, ganz spontane Fallbewertung, nur als Impuls« auf den Beamer.
Mordfall L a Y o u n g, Kim
Entwurf Tathergangsanalyse 1.0
Auffallend ist die ungewöhnliche Kombination aus geplanten und ungeplanten, spontanen Tatelementen. Insbesondere dem überlegten Nachtatverhalten.
Die Übertötung (Overkill) des Opfers durch Erdrosseln und Erstechen spricht für eine spontane Eskalation in Form eines hasserfüllten Ausbruchs.
Ganz im Gegensatz dazu steht die zeitaufwendige, handwerklich exotische Fesselung. Sie ist nach Spurenlage erst nach der Tötung erfolgt, da das zur Fesselung verwendete Material (aneinandergeknüpfte Stoffgürtel) ausnahmslos unbeschädigt über die zahlreichen Stichwunden am Oberkörper verläuft.
Dieses kaltblütige, überlegte Nachtatverhalten des Täters, der am Tatort erst Fesselungsmaterial sucht und zusammenknüpft, bevor er die Leiche damit fesselt, zeigt einen Täter, der aus maximaler Aggressivität und Brutalität sofort wieder herunterfahren kann in kaltes, subjektiv rationales Handeln.
Dies demonstriert bereits das hochgradige Gefahrenpotenzial dieses Täters. Folgerichtig findet sich auch kein Hinweis auf eine wie auch immer geartete Reue oder Schuldgefühl: Er deckt sein Opfer nicht etwa zu oder versucht, es zu verstecken. Stattdessen stellt er es offen zur Schau, in demütigender und entwürdigender Position (gespreizte Beine, Kopf nach hinten gezogen, Kehle freiliegend). Diese Pose, dieser »Show«-Effekt, scheint ihn zutiefst zu befriedigen; vielleicht kommt es auch deshalb zu keinen sexuellen Manipulationen.
Angesichts der aufwendigen Inszenierung halte ich es für sehr wahrscheinlich, dass der Täter, unter Umständen nur mit dem Handy, seinen Tatort am Schluss fotografiert hat. Art und Aufwand des ungewöhnlichen Verhaltens, das der Täter nach seiner spontanen (vermutlich sogar erstmaligen) Tötung demonstriert, zeigen, dass sich Macht- und Gewaltphantasien bei ihm schon sehr lange und sehr konkret aufgestaut haben.
Für Ermittlungs- und Fahndungsansätze von besonderem Interesse ist die exotische Fesselungsart (japanisches Shibari). Hier findet sich im engsten persönlichen Umfeld des Täters höchstwahrscheinlich inspirierendes Material (zum Beispiel auf Handy, Laptop, DVD oder Bildband, Zeitungsausschnitte et cetera).
Insgesamt zeichnet sich die Performance des Täters durch extreme Brutalität, hohe emotionale Variabilität und narzisstisch übersteigerte Eitelkeit aus. Nach Erfahrungswerten der
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