Todesfessel - Franken-Krimi
kleinen Boxen des Spiders.
»Hey, der Boss ist aus New Jersey, genau wie ich! Nur vierzig Meilen von mir steht sein Elternhaus, vierzig Meilen von East Orange … in Freehold. Und er sieht doch auch mit zweiundsechzig immer noch gut aus, oder?«
»Findest du?«, fragte Charly vorsichtig. »Ist er dir nicht schon zu alt?«
»Zu alt? Warum? Wie alt bist du denn?«
»Mhmm … Maybe … too old to Rock’n’Roll – too young to die …?«
Joyce lachte und musterte ihn dann interessiert von der Seite. Nicht zum ersten Mal heute.
Auffällig lange.
Während er das Drei-Speichen-Lenkrad des Alfa bei hundertsiebzig auf Kurs hielt, spürte er förmlich ihren prüfenden Blick über sein Profil, seinen Hals und seinen Oberkörper gleiten.
Bis hinab zu seinen Oberschenkeln.
»Glory days, well they pass you by …«, bilanzierte der Boss voll atemloser Sehnsucht, »… Glory days, in the wink of a young girl’s eye …«
Draußen jagte der ICE München–Berlin vorbei.
Noch drei Stunden …
16:32 Uhr – Irgendwo in Franken
»Ah ja – dann komm doch bitte herein!«, sagte er. »Dauert nicht mehr lange, ist sicher gleich so weit.« Seine Stimme klang plötzlich leicht belegt. »Hier, setz dich doch. Was darf ich dir zu trinken bringen?«
Ein seltsamer Glanz trat in seine Augen.
Schüchtern setzte sich das Mädchen auf die niedrige schwarze Wohnzimmercouch.
»Ein Wasser bitte.«
»Kommt sofort!«
Sein Herz pochte aufgeregt, als er in das Nebenzimmer huschte.
17:10 Uhr – SOKO Franken
»Wo steckt eigentlich Charly heute?«, raunzte ein sichtlich schlecht gelaunter Löhlein. »Ich habe ihn den ganzen Tag noch nicht gesehen!«
»Na, in Bamberg«, erwiderte Moser erstaunt mit vollem Mund. Der Pressesprecher, wegen regelmäßiger privater Blechschäden im Haus nur noch als »Quax, der Bruchpilot« bekannt, saß bei Tom Scherzer auf dem Schreibtisch und war in dessen Riesendose Goldbären endlich bis auf den Grund vorgedrungen. Er musste zweimal kräftig schlucken, bevor er fortfahren konnte.
»Knöpft sich Djukic vor.«
Löhlein rümpfte die Nase. »Und wieso machen das nicht die Bamberger?«
Moser grinste und schwieg. Tom Scherzer fühlte sich schließlich bemüßigt, Charly zu verteidigen.
»Ich denk, er traut den Bamberger Kollegen noch ned so ganz übern Weech. Sind alles Freaks, sachd er. Er selbst kennt die Dübbn beim Basketball nur aus der Zeitung und hat mehr Distanz.«
»Also so ein Blödsinn«, echauffierte sich Löhlein. »Mehr Distanz! Charly ist abschussgeil, das ist alles! Will sich persönlich die nächste Kerbe schnitzen!«
»Na, unbefangener ist er doch in Bamberg auf jeden Fall«, warf Schnauzer ein.
»Unbefangen? Du meinst auf gut Fränkisch, er is … grad’zu!« Während Tom und Schnauzer vielsagende Blicke wechselten, brach bei Heinz-Uwe Löhlein eine ausgewachsene Aversion durch.
»… ihr wart in München damals nicht dabei, im Ministerium! Wie er damals bei Vöhringer ausfällig wurde, im Beisein des Chefs – werd ich nie vergessen!«
»Jetzt mach’s aber halblang, Heinz«, bremste Schnauzer. »Die haben doch Charly wirklich gelinkt, Platzziffer tausendvierhundertundzerquetschte, nach der Ergreifung von Bayerns brutalstem Serienmörder!«
»Und aus dei’m Versetzungswunsch is doch aa nix worn«, merkte Tom süffisant an.
»Genau, das isses doch«, ereiferte sich Löhlein. »Er reißt uns doch auch mit rein, auf seinen fränkischen Privatfeldzügen! Nein, Kollegen, das muss wirklich mal erlaubt sein, das sag ich ihm auch persönlich ins Gesicht: Charly steht sich schon immer selbst im Weg, mit dieser lächerlichen Schimanski-Attitüde, diesen unmotivierten und unsensiblen rustikalen Grobheiten!«
* * *
Zärtlich zog er Joyce zu sich heran.
»Komm, Baby …« Ihre geschmeidigen Bewegungen wurden schwächer und erstarrten plötzlich ganz.
Abrupt drehte sie ihren Kopf zur Seite.
Irritiert ließ Charly wieder los.
Unter ihrer eben noch so verführerischen, sanften Nacktheit spürte er plötzlich etwas, mit dem er nicht gerechnet hatte.
Etwas, das ihn völlig unvorbereitet traf.
Unsicherheit, Verletzlichkeit.
Hilflosigkeit.
Don’t kill butterflies – der weiße Pin fiel ihm ins Auge; an der Tasche, die hinter ihrem Kopf lag, zwischen Jeans und schwarzem BH .
Reglos verharrten er und Joyce, Lichtjahre voneinander entfernt, vereint in beschämtem Entsetzen über beinahe Geschehenes.
Bitte keine Tränen jetzt …
Erleichtert registrierte er, dass Joyce etwas sagen
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