Todesformel
mit ihren Anordnungen nicht zufrieden, das sind Reihen. Sie mussten jeweils mit geringfügigsten Änderungen neu gemacht werden. An diesem Freitag sei er sogar mit nach ›Holsten‹ gekommen, habe gewartet, bis diese Änderungen fertiggestellt waren. Sie behauptet, sie in ihrem Computer gelöscht zu haben. Das tue sie immer, aus Sicherheitsgründen. Sie befänden sich in der Firma in einem Safe, auf CD-ROMs. Es muss auch an diesem Nachmittag zu einem Bettteil gekommen sein. Sonst wäre da eine unerklärliche Lücke, denn nach der Angabe von Chantal Platen-Alt hat Yorge Droz ›Holsten‹ um etwa sechs Uhr abends verlassen. Sie hat ihn bei seiner Wegfahrt an der Einfahrt gekreuzt.«
Sven bestellt eine zweite Stange Bier, dazu zwei Weißwürste mit Brezeln und viel Senf. So mitten im Nachmittag glänzen diese weißlichen Würste neben dem Riesenklacks Senf echt psychedelisch, Svens Stimmung scheint sich zu verbessern. Möglicherweise hat er heute noch gar nicht gegessen. Sieht er denn meine eingebundene Hand nicht?
Sven war heute Morgen schon auf ›Holsten‹, zu einem halbstündigen Gespräch mit Chantal Platen-Alt. Sie habe ihn dazu aufgefordert. »Auf dem Pult vor sich hatte sie einen Zettel, auf dem hatte sie offensichtlich notiert, was zu sagen war. Punkt um Punkt hat sie abgehakt, äußerst effizient. Sie hat Sven die Familienverhältnisse erklärt. Die berühmte Charlotte Platen hat in jungen Jahren in die Firma ›Delton‹ eingeheiratet. Sie hat bahnbrechende Entdeckungen gemacht. Als ihr Mann jung starb, fielen seine Mehrheitsanteile dem Kind, Meret Platen, zu. Chantal Platen-Alts Vater war Charlotte Platens zweiter Mann, er hat das Kind Meret übernommen. Meret Platen scheint nach den Aussagen ihrer Schwester hochgradig verschroben zu sein. Ihre Arbeit im Forschungsteam sei eher einer ›Beschäftigung‹ gleichzusetzen. Sie müsse etwas zu diesem Verschwinden des Forschungsleiters wissen. Chantal Platen-Alt ist sehr besorgt darüber, dass es sich dabei um den Geliebten ihrer Schwester handelt, dass er möglicherweise tot ist und dass ausgerechnet Meret Platen es war, die seine Hand gefunden hat. Auch kann sie sich nicht vorstellen, was ihre Schwester am Sonntagmorgen so früh oben beim Bienenhaus suchte, genau zu dem Zeitpunkt, als dieser Wegmacher tot darin lag.«
»Wenn ich dir so zuhöre, fällt mir vor allem auf, dass sie ›zielgerichtet und effizient‹ alles daransetzt, ihre Schwester, Pardon Halbschwester, zu belasten.«
»Chantal Platen-Alt ist eine gewiefte Politikerin, du habest heute Morgen mit ihr telefoniert. Gut, du hast recht«, Sven lutscht schmatzend an seiner Wurst, »sie hat sich nebenbei über deine Einmischung beschwert, sie mag ein geborenes Mobbingtalent sein.«
»Wenn du bei Meret Platen einfach weißt, wenn sie etwas verschweigt, kannst du dir bei einer Frau vom Kaliber einer Chantal Platen-Alt sicher sein, dass sie lügt, und du merkst es nicht. Also gehe doch einfach davon aus, sie hat gelogen, einmal, mehrmals. Du kannst dich ärgern, keiner wird gern für dumm gehalten. Du kannst nicht einmal davon ausgehen, dass ihre Zeitangaben stimmen.«
»Ich weiß nicht. Sie hat nicht verschwiegen, vor ein paar Jahren mit Droz ebenfalls ein Intimverhältnis gehabt zu haben, so geht das bei denen zu. Wenn sie denn lügt, wem sollte es nützen oder was sollte das bewirken? Für sie als Fachfrau für Wirtschaftsfragen bringt das Verschwinden eines leitenden Wissenschaftlers der ›Delton Biotec‹ viel politischen Wirbel. Droz als Direktor gehört in die obere Etage. Was auch immer geschehen ist – und mit dieser abgetrennten Hand müssen wir von einem Verbrechen ausgehen –, so wird das auch Chantal Platen-Alt politisch treffen. Kriegt erst einmal die Presse Wind von einer mysteriösen Affäre, kann sie dann schauen, wie sie so etwas politisch ausbalanciert.«
»Wenn du das alles weißt, dann ist doch diese ›Vorstellung‹ von heute Morgen unter diesem Aspekt zu sehen. Sie hat dir ein Denkmuster gegeben. Gib zu, sie hat dich mit Stil, Klugheit und ein wenig Charme um den kleinen Finger gewickelt! Sie hat sich dir in diesem Rahmen gezeigt, im ganzen Reichtum, der sich in einem derartigen Haus ausbreitet: Reichtum ist Macht. Wenn du das nicht im Auge behältst, wirst du es sein, der von der froh vereinten Chemieklientel verhackt und der Presse zum Fraß vorgeworfen wird!«
»Was für ein Bild!« Sven fällt mir ins Wort. »Jetzt komm zurück auf den Teppich, wer versucht hier,
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