Todesformel
mit Worten Fakten zu schaffen! Du vertrittst diese Meret Platen, viel Glück dabei. Urs Bäumlin hatte gestern recht, als er sie in Vorbeugehaft nehmen wollte. Erstens wäre sie uns heute Nacht fast umgekommen. Zweitens macht sie sich mit diesem Selbstmordversuch verdächtig. Wenn sie sich nicht erinnert, Barbiturate geschluckt zu haben, so ist das entweder eine Schutzbehauptung oder eine freche Lüge.«
Es verschlägt mir fast die Sprache: »Du willst sie unbedingt schuldig sehen. Du vergisst, die Haustür war nicht verriegelt. Siehst du denn nicht, da ist jemand zur Tür hinausgegangen, der nur von außen mit einem Schlüssel schließen konnte. Es ist doch durchaus möglich, jemand, der eben einen Schlüssel hatte, war schon vor ihr im Haus. Jeder kann irgendetwas in einen Wassertopf schütten oder in eine Tasse oder in die Kaffeemaschine, du musst nur wissen, was sie trinkt. Es konnte jemand auch irgendwo warten, das muss nicht einmal im Haus drinnen sein, bis sie betäubt war. Erinnere dich, wie sie im Bett gelegen hat, das sah doch entsetzlich aus. Wer legt sich schon halb ausgekleidet ins Bett, die Hände schön über der Decke, wie ein Holzstück! Falls jemand das getan hätte mit dem Gedanken, sie ersticke bald – es wäre makaber.«
Sven scheint gar nicht richtig zuzuhören. Selbstvergessen saugt er am letzten Zipfel seiner Wurst, genüsslich. Dann meint er endlich: »Gehen wir jetzt einmal davon aus, Chantal Platen-Alt ist sehr besorgt um sie. Nach ihrer schwesterlichen Meinung tickt sie nicht richtig. Ja, ich weiß, du bist ihre Anwältin, wirst uns nichts sagen, was ihr schaden kann, doch ihr Geisteszustand müsste verifiziert werden. Entweder du bist kooperativ, sorgst dafür, dass sie redet und dass sie uns nicht abhanden kommt, oder du musst dir etwas einfallen lassen, denn wir sollten sie besser sofort wegen des dringenden Mordverdachts verhaften, dann geschieht ihr wenigstens nichts.«
Den letzten Nebensatz überhöre ich, höre nur ›Mordverdacht‹. Da haben wir es, er hat sich von dieser Zuckerwattefrau einwickeln lassen. Ich bin vor den Kopf gestoßen, denke an Aljas Worte, wie sehr Meret Platen verzweifelt war, als sie diese Hand gefunden hat, dass sie gewusst haben muss, zu wem sie gehört. Jetzt sehe ich rot, was weiß so ein Schönling denn von Liebe! »Du weißt so gut wie ich, Knut bezeugt es, Meret Platen ist zu Knut gekommen, weil sie wollte, dass nach dieser Hand gesucht wird. Sie wollte die Wahrheit. Es ist völlig unlogisch, sie jetzt plötzlich als Mörderin ihres Liebhabers zu sehen.« Warum gerate ich denn in Panik, so viel geht sie mich doch gar nicht an, ist eine Klientin. Unvermittelt reizen mich Svens Teilnahmslosigkeit, seine fettigen Lippen. Ich bin nicht umsonst im Dorf groß geworden:
»Wenn du nur nicht einmal an die Falsche gerätst, Sven Dornbier. Ich bin Anwältin geworden, nicht Beamtin, hast du auch schon einmal etwas von Rechtsstaat gehört? Ich wahre die Rechte meines Klienten, gerade auch gegen den Übereifer oder gegen die Schlamperei von Behörden. Du scheinst ja sehr ›Behörde‹ geworden zu sein, und zwar eine Behörde, die sich mit Mächtigen gut stellt, habe ich recht?«
Sven stellt das Glas langsam auf den Tisch, seine Pupillen werden kleiner, auch die Augen verengen sich leicht. Er entgegnet scharf, zynisch, als hätte er nur darauf gewartet: »Ausgezeichnet, Jennifer Bach, ausgerechnet du erwähnst den Rechtsstaat. Wenn du an den Rechtsstaat glaubst und dich für ihn einsetzt, dann bist du es, die vorsichtig sein muss mit einer Klientin, die die größte Einzelaktionärin eines Chemiemultis ist. Sie ist die Mächtige der Schwestern, hast du nicht zugehört? Es ist doch interessant, sie ist sowohl Mitglied des Stiftungsrates als auch Mitglied des Verwaltungsrates dieser Firma. Ihre Schwester dagegen ist in diesen Gremien gar nicht vorhanden. Deine Klientin lässt dich hampeln, denn für sie ist dein Rechtsstaat so etwas wie die Verlängerung eines Familienunternehmens. Ich nehme an, es kommt deinem Exgatten gelegen, wenn du eine von denen vertrittst. Er steht doch auf der Warteliste für Oberrichter, er weiß, was gut für ihn ist: Wenn die richtigen Leute wie die Platen hinter ihm stehen, ist die Wahl durch beide Räte ein Nasenwasser. Du selbst hast mit diesem Fall beruflich Glück, steckst in einer großen Geschichte mit viel Publicity, wie auch immer, gut fürs Geschäft, Jennifer. Die Leute laufen doch nach den bekannten Namen.«
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