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Todesformel

Todesformel

Titel: Todesformel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Verena Wyss
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bis sieben. Sich nicht getroffen zeigen. Die Art, wie Meret Platen die Augenbrauen hochzieht und fragend blickt, hat mir imponiert, das kann ich auch. Ich bin Anwältin, das ist eine Frechheit: »Wenn du die Menschen heute so einschätzt, dass sie alles tun, um vorwärtszukommen, so bewegst du dich in einem armseligen Milieu. Hoffentlich verstehst du vom Juristischen mehr als von Menschen, ich wünsche es dir, Frauenkenntnis jedenfalls scheint nicht deine Stärke geworden zu sein. Für meine Klientin lege ich persönlich die Hand ins Feuer, nicht aus taktischen Gründen. Zudem täte es dir gut, die Menschenrechte zu repetieren.« Ich lächle, weil mir schon wieder unvermittelt zum Lächeln zumute ist. Wenn er sich so aufregt, dann liegt ihm noch immer an unseren Idealen. Er schaut indessen verblüfft, überlegt. Ich weiß, dass ich einen logischen Schlenker gemacht habe, sei’s drum:
    »Im Übrigen habe ich einen Jungen, um dessen Erziehung ich mich zu kümmern habe. Benno ist sein Vater, also lasse ich ihn nicht mir ins Gesicht hinein beschimpfen. Und jetzt muss ich leider gehen. Was du von mir hältst, ist mir gleichgültig.«
    Ich zähle das Geld für meinen Kaffee auf den Tisch, lächle mit hochgezogenen Augenbrauen, lasse ihm keine Zeit, irgendetwas zu sagen oder auch nur aufzustehen. Er muss ja noch bezahlen.
    Beim Hinausgehen halte ich mich gerade, gehe elegant, etwas aus den Hüften. – Was hätte eine Entschuldigung genützt, wenn es eben ätzend war. Ausgerechnet Sven spricht aus, was ich selbst über Bennos Karriere denke. Nur ich darf fragen, wer ihn denn zum Oberrichter will und warum sich jemand hinter ihn stellt.
    Das andere liegt mir schwer im leeren Magen – meine Klientin. Gestern hat Alja mich dazu gedrängt, sie zu vertreten. Daraufhin ist sie diese Nacht um ein Haar umgekommen. Was ist, wenn sie eine Mörderin ist?
    * * *
    Ein Streit kommt selten allein. Ausgerechnet heute ruft Susanne an, Bennos liebe Mutter. Unerfreuliches steigt mir schon nur beim Klang ihrer Honigstimme hoch. Auch diesmal sind die Vorwürfe in Zucker verpackt.
    »Mein Liebes«, ich fühle meinen zuckenden Kiefermuskel. »Ich wäre doch da gewesen in den vergangenen Wochen, um mich ein wenig um Noël zu kümmern, der arme Junge hatte ja Ferien. Wie ich in meiner ›Bridge‹-Runde hörte, hast du ihn bei dieser Frau in Hochdorf untergebracht, in dieser abgelegenen Mühle. Das wäre ja nun wirklich nicht nötig gewesen. Hast du dich denn für diese zwei Wochen nicht freimachen können, so etwas ist doch der Vorteil einer selbstständigen Tätigkeit. Ja, Benno brauchte natürlich seine Ferien ganz dringend. Er arbeitet immer so intensiv. Einmal musste auch er Zeit haben für sein Gefühlsleben, er ist doch jetzt im besten Alter. Doch um auf Noël zurückzukommen: Du kannst dich völlig auf mich verlassen, falls Benno wieder einmal nicht frei sein sollte. Du weißt ja, jedes zweite Wochenende und die Hälfte der Ferien hat Noël das Recht, bei seinem Vater zu sein. Also, falls Benno nicht frei sein sollte, wird Noël selbstverständlich bei mir sein. Es war ja auch für ihn tragisch, dass kein Geschwisterchen gekommen ist. Diesen Samstag jedenfalls würde ich mir gern die Zeit nehmen, mit Noël den gänzlich neu gestalteten weißen Saal im Museum für Zeitkunst anzusehen, jenen mit den beweglichen Blechobjekten. Das ist für einen Jungen interessant und meine Freundin ist unerwartet krank geworden.«
    Um nicht gestresst zu tönen, lächle ich die Zimmerlinde an: »Nein, Noël wird leider nicht kommen. Samstagmittag wird er gleich anschließend an den Unterricht ins Schwimmtraining gehen, am Nachmittag darf er einen Ausflug machen, ja, in den Zoo, ja, mit dem Mitbewohner in unserem Haus, ja, ein Untermieter. Nein, dieser ist erst vor Ostern hier eingezogen, er versteht sich sehr gut mit Noël, nein, ich habe ihn nicht gefragt, ob er homosexuell sein könnte. Nein, das ist ein Unsinn. Es kann doch einfach ein Erwachsener nett sein zu einem Kind, ich finde Noël auch großartig und ginge gern mit ihm in den Zoo, ich habe einfach im Augenblick viel Arbeit, du findest es doch auch erstrebenswert, dass meine Kanzlei gut läuft.«
    Susanne lässt sich nicht ablenken, lässt nicht locker. Es ist mühsam und ich rege mich allmählich auf, aber ich starre auf das eine weiche Blatt meiner Linde:
    »Nein, ich habe mich nirgends erkundigt. Ich gehe jetzt einfach einmal davon aus, dass er kein Kinderschänder ist. Ich gehe nicht von

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