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Todesformel

Todesformel

Titel: Todesformel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Verena Wyss
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vornherein negativ an Menschen heran, die ich neu kennenlerne. Es gibt übrigens eine Statistik: Menschen, die übervorsichtig anderen eher misstrauisch begegnen, und Menschen, die eher sorglos und vertrauensvoll anderen gegenübertreten, beide Gruppen werden gleich oft und etwa im gleichen Ausmaß betrogen. Bloß leben Letztere fröhlicher, weil sie sich das Leben nicht schon vor dem Betrogenwerden vergällen.«
    Susanne ist pikiert, will ich sie denn belehren? Dann glaubt sie es nicht. »Um auf den Punkt zurückzukommen, wenn man sich selbst schädigt durch Sorglosigkeit, steht dies gewissermaßen jedem frei, doch es geht um Bennos Sohn, es geht um deine Sorgfaltspflicht. Es ist übrigens eine intellektuelle Manie, Statistiken zu bemühen. Fürsorglichkeit ist nicht unbedingt eine Angelegenheit des Intellekts.« Endlich, beim Wort ›Sorgfaltspflicht‹ geht mir ein Licht auf, ich hätte es mir denken können. Es geht nur vordergründig um Noëls mögliche Gefährdung, Susanne wittert wieder ein Stückchen Munition für den Kampf um das Sorgerecht. Sie stachelt Benno dazu an. Automatisch kommt dazu ihr übliches Rivalisieren. Warum eigentlich wehre ich mich kein einziges Mal richtig, ich ärgere mich doch? Eben weil ich mich überlegen fühle, weil es unfein ist, dies jemanden merken zu lassen; so stelle ich mir das Gezänke auf einem Fischmarkt vor. Das Dumme ist nur, wer sich auf dem Fischmarkt nicht Respekt verschafft, dem klatschen eben stinkende Fische um die Ohren. Dreist ist das Wort – weil ich mich nicht wehre, wird Susanne immer dreister. Es geht ihr doch darum, mich einzuschüchtern. Also muss ich doch noch einmal darauf zurückkommen: »Für Noël ist es einfach gut, etwas unbefangen gemeinsam mit einem erwachsenen Mann zu unternehmen. Für beide wird dies ein vergnüglicher Ausflug werden. Dieser Untermieter ist zufällig nicht nur intelligent, er hat auch Humor.«
    Endlich klingelt etwas, meine Mailbox, Susanne kann hören, wie beschäftigt ich bin. »Ich muss leider zu einem Ende kommen. Ich nehme an, du wirst trotzdem ins Museum gehen, dann wünsche ich dir dabei viel Vergnügen und ruf mich nicht mehr während der Geschäftszeiten an, Tschüss.«
    Sie krallt sich an mein Leben. Das Schlimme am Alleinstehendsein ist, man kann einen raschen Frust niemandem mitteilen. Diese hässlichen Mütter, die ihre Mutterrolle nicht ablegen können, die nur eines kennen, das großartig ist, ihr Sohn, der leider nicht ihr eigener Partner sein kann, sondern unglücklicherweise ein Mädchen vom Land geheiratet hat. Susanne findet Astropsychologie halbseiden, damit meint sie Dorothy, Polizisten etwas sehr ungehobelt, und das ist dann auf Knut gemünzt, und Frauen, die studiert haben, sind sowieso keine ›richtigen‹ Frauen. Auch Blödsinn kann verletzen. Unsere Scheidung bestätigte sie in dieser Meinung. Dass nach einer Scheidung ein Neustart in den Beruf mitfinanziert werde, das wirke doch etwas armselig, eine Ehe sei doch keine Versorgungsanstalt. Mit einem Mal singe ich fröhlich vor mich hin. Benno will gar kein Sorgerecht. Ines könne sich nicht vorstellen, Noël bei sich aufzunehmen, einer Mutter das Kind wegzunehmen. Dorothy meint, das sei die Natur, das sei bei jeder Tiergattung so. Die Weibchen sorgten in erster Linie und sehr rabiat für die eigenen Nachkommen, deren Konkurrenten würden weggeschoben bis ausgerottet. Es gehe immer um den Schutz der eigenen Gene, über Generationen. Höchstens Babys könnten in ihrer Kleinstkinderzeit in Ausnahmefällen von Tanten Fürsorge erhalten. Für die röchen sie möglicherweise richtig.
    Ich wünsche Ines von Herzen eine große Brut.
    Wen kümmerte es, wenn Noëls Herz vielleicht dabei ist zu brechen? Er realisiert doch erst jetzt, dass er Benno verloren hat. Er wird ihn weiter verlieren, wenn Susanne Benrath gegen mich intrigiert. Auch wieder Statistik: Für ein Kind ist eine schlechte Ehe der Eltern besser als eine geschiedene Ehe. Jede Scheidung erzeugt Schulschwierigkeiten. In seinen Leistungen fällt ein Scheidungskind durchschnittlich ein Jahr zurück, von der seelischen und geistigen Reife ganz zu schweigen. Ich hoffe, es ist wie mit den Kinderkrankheiten: Richtig durchgeseucht stärken diese doch das Immunsystem.
    Moshe wird zu meinem Seelentröster. Er weiß immer, wenn ich mich mies fühle. Er setzt sich vor mich hin, hechelt mit leicht geöffnetem Maul, bewegt die Schwanzspitze fast unmerklich, starrt mich mit seinen Bernsteinaugen durchdringend an.

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