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Todesformel

Todesformel

Titel: Todesformel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Verena Wyss
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unmerklich das linke Augenlid nach unten, dann fuhr sie mich fast an: »Essen Sie Fleisch?« Eigentlich ging sie es nichts an, doch schon hatte ich, »wenig« gesagt. »Essen Sie kein Fleisch! Es ist das Gegenprinzip zum Garten, das Töten von Tieren.
    Das menschliche Blut ist etwas anderes, sollte nicht mit tierischem Blut aufgebaut werden, wissen Sie, ich war Chemikerin, ein Chemiker der besonderen Art.« Jetzt schien sie kaum hörbar zu lachen.
    Alja redet versonnen, als hätte sie alle Zeit der Welt: Sie hatte schon immer Menschen mit feingliedrigen Händen spontan faszinierend gefunden, Menschen mit guten Manieren, mit dem lachenden Ton hinten im Hals beim Reden, sie mochte Charlotte Platens leise tönende Stimme – ein Mensch wie Musik. Sie war alt und Alja wusste, wie sie als junge Frau gewesen sein musste. Früher hatte Alja sich nicht gescheut, eine spontane Zuneigung auch zu zeigen. Jetzt war es anders.
    Charlotte Platen sah Alja an und meinte locker: »Ich war im Wald, vor drei Tagen, oben auf der Lichtung. Wie geht es Ihrem ›Hibou‹? Auch deswegen bin ich hier.« Alja war erleichtert, das also war es. Dann zeigte sie ihn. Sie hatte der Eule im Schuppen aus Kisten einen großen Kasten gebaut, dass sie es dunkel hatte. Den einen Flügel, der zerfetzt war und gebrochen zu sein schien, hatte sie gesäubert und mit Karton geschient. Dem Vogel ging es noch nicht gut. Sie hatte ihn mit rohem Fleisch gefüttert und ihm mit der Pipette Wasser eingeflößt. Er schien etwas vom restlichen rohen Fleisch gefressen zu haben, das sie ihm hingelegt hatte. Das Mäusefangen hatte Alja noch nicht los.
    Also, wo war sie stehen geblieben, eine betörende alte Frau, die gewohnt war, wach durch ihr Leben zu gehen. Sie sagte: »Sehen Sie, Sie haben mich beeindruckt vor drei Tagen. Einer dieser Helden war mein Schwiegersohn, der andere ein Angestellter. Der Wald und die Lichtung gehören noch immer mir.«
    Der Herrin, die Macht – wo ist mein Platz als freie Frau? Es hat Alja fast die Sprache verschlagen: »Was heißt beeindruckt? Wo waren Sie, was für eine Rolle übernehmen Sie, wenn Sie zuschauen, wie ein Jungvogel gequält wird?«
    Charlotte Platen überhörte die Frage. Es sei ein umwerfendes Bild gewesen, wie Alja über die Lichtung gelaufen kam. War da ein Lachen in ihren Augen?
    Die zwei Flintenhelden wussten nicht, dass sie ganz nah oben auf dem Jagdsitz saß. Es war ein Zufall. Sie wollte den Morgen beobachten, die Natur. Sie gab zu, sie hätte einschreiten müssen, weil das, was sie taten, keine Notwendigkeit war, sie taten es aus purer Lust, Mattis jedenfalls. Sie standen nah und Charlotte Platen hatte ihren Feldstecher, beobachtete Mattis – mit ihrer Tochter verheiratet, für die Spitze des Unternehmens vorgesehen. Jakob sei ein Wildhüter, die kennten es nicht anders. Sie sei auf die Gesichter der beiden konzentriert gewesen, das habe sie von dem abgelenkt, was wirklich geschah. Sie standen da schräg unter ihr, schossen nach den Krähen und freuten sich und ihre Freude war böse. Das habe sie fasziniert. Werde das Böse an einem Ort bekämpft, werde es nur stärker an einem anderen. Das sei einer ihrer Grundfehler, sie habe das Leiden eines Vogels theoretisiert und dann sei Alja gekommen und habe diesem Geschehen ein Ende gemacht, das sei das, was zähle. Ihr spontanes Handeln, wie sie es tat – aus dem Herzen und mit Schwung, ohne Rücksicht auf irgendwelche Folgen. Sie habe eine Schwäche für mutige Frauen.
    Schon beim Weggehen, im Hausgang, sei Charlotte Platen stehen geblieben, habe etwas aus ihrer Busentasche gezogen, Aljas zerbrochene Brille. Sie solle sie ersetzen und ihr die Rechnung schicken. Auf Aljas heftige Abwehr habe sie sich entschuldigt, auch das sei ein Vorwand gewesen, herzukommen. Sie solle es sich überlegen. Dann habe sie ihr Felix Gamba als Gärtner empfohlen. Er sei ein guter Gärtner, weil er nicht schneide, was er nicht solle, nicht viel rede, zuverlässig sei, er verstehe auch etwas von Bienen.
    Also, wenn Jenny so frage, ob Alja Meret Platen einen Mord zutraue – nein, das schließt sie aus, Meret Platen hat ein zu weites Bewusstsein. Was sie unterscheidet, ist dieses Brüchigsein, durchlässig. Du siehst es in ihren Bildern, es ist ein ganz großes Verständnis im Lebendigen. Deshalb könnte sie nie töten.
    Noch zweimal war Charlotte Platen zurückgekommen.
    Über Meret sagte sie, ihre Tochter fühle sich von ihr verraten, weil ihr Vater gestorben sei, weil sie einen neuen

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