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Todesformel

Todesformel

Titel: Todesformel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Verena Wyss
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gefährlicher Mann. Ich starte, die Hunde springen wieder hoch, rasen um meinen ›Jeep‹, ich fahre im Schneckentempo weg. Abrupt wenden sie, rasen zurück zu ihrem Herrn, ich sehe es im Rückspiegel. Sie bewegen sich eng an seiner Seite – gut dressierte Hunde.
    Nach fünfhundert Metern stoppe ich am Waldrand, Moshe muss ja gestorben sein vor Angst – ein Wurstscheibchen. So tun, als wäre nichts gewesen, sonst wird er ängstlich. Jetzt ein Besuch bei Alja, mir ist nicht mehr nach Tee, ich brauche jetzt etwas Starkes.
    * * *
    Ich flüchte in Aljas Küche, Alja gießt Ayurveda-Tee auf mit dem Etikett ›Mut‹. Ich wünsche Aljas Tee nicht, suche im Schrank, schenke mir einen Bourbon ein, ›Four Roses‹, allein schon der Kleber mit roten Rosen auf gelbem Grund ist tröstlich. Der Auftritt mit diesen grässlichen Hunden ist mir in die Knochen gefahren. Dieser gottverdammte Mattis Platen-Alt hätte ebenso gut mit einer Flinte hinter den Büschen stehen können. Vorher ist mir diese nicht minder verdammte Meret Platen auf den Magen geschlagen, was für eine himmeltraurige Geschichte. Diese Leute sind alle zusammen verrückt, eine gefährliche Familie.
    Aufgeschreckt hört Alja zu, es gefällt ihr nicht. Genau so hat sie Mattis Platen-Alt vor Jahren mit dem ›Petit-Duc‹ erlebt. Es gibt Szenen, die erhellen das Leben eines Menschen wie ein Punkt, der für das ganze Hologramm genommen werden kann.
    Ich begehre auf, wenn sie das weiß, wie kommt sie denn Himmelnocheinmal dazu, mir dieses Mandat anzuhängen? Dann jammere ich: »Wie soll man das verstehen, Meret Platen ist so widersprüchlich. Sie hat angedeutet, mich nicht mehr zu brauchen. Gleichzeitig gibt sie dermaßen viel von sich preis, liefert sich aus. Sie zeigt ihre Verletztheit, ihre Feinfühligkeit. Ich möchte ihr Gutes tun, gleichzeitig befürchte ich, sie könnte zu brüchig sein, irgendetwas könnte zu viel geworden sein für sie. Alja, was hältst du für möglich – kann Meret Platen ihren Liebhaber umgebracht haben, kann sie schuld sein an Felix’ Tod? Es ist der Sicherheitsbeauftragte ›ihrer‹ Firma, der in Straßburg erschossen wurde. Traust du Meret Platen im Entferntesten zu, etwas damit zu tun zu haben?«
    Alja schaut mich an, wägt ab. Was denkt sie wirklich? »Eigenartig, dass du ›brüchig‹ sagst. Genau dieses Wort hat schon einmal jemand auf sie angewendet, ›brüchig‹ – Charlotte Platen, ihre Mutter. Es gab eine kurze Zeit, da habe ich sogar von Charlotte Platen geträumt. Jetzt habe ich schon lange nicht mehr an sie gedacht. Ich hoffe, es geht ihr gut, doch was heißt schon ›gut‹ bei Alzheimer?«
    Ansatzweise kenne ich die Geschichte, die Alja mit Charlotte Platen erlebt hat, bruchstückhaft, in Stichworten. Jetzt interessiert sie mich. Alja muss sie noch einmal erzählen, so exakt sie nur kann. Ich muss versuchen, diese Menschen zu begreifen.
    Alja schaut aufmerksam, prüfend. Dann holt sie die Keksbüchse aus dem Schrank, sie hat Brownies gebacken. Ich liebe schon nur den Geruch.
    Vor fünfzehn Jahren, drei Tage nachdem Alja den Uhu vom Pflock gelöst hatte, da ist sie zum ersten Mal mit Charlotte Platen zusammengetroffen:
    Jemand schlug kräftig den Gong, der an einem der Stützpfosten des Vordachs befestigt war. Erstaunt hörte Alja das weiche Dröhnen. Barfuß lief sie zum Eingang, denn der Briefbote und die Bäuerin vom Nachbarhof, ihre bisher einzigen Besucher, haben von Anfang an einfach an die Tür geklopft. Jetzt hatte jemand erfasst, dass dies die Haus- und Gartenglocke war.
    Eine grauhaarige kleine Frau stand auf der zweiten Eingangsstufe, den Rücken zur Tür, offensichtlich den Garten betrachtend. Alja sieht das Bild noch heute vor sich: braune, in den Kniebeugen und an den Aufschlägen abgewetzte Cordhose, helle Lodenjacke mit ledernem Stehkragen und ledergefassten Kanten. Mit der linken Hand stützte sie sich auf einen eleganten Stock, trug einen auffallenden Ring mit einem geschnittenen gelben Stein. Gemessen, doch nicht steif, drehte sie sich Alja zu – älter als diese, sonnengebräunt, hochgeschwungene, mit einem Stift nachgezogene Brauen, blaue Augen mit festem Blick, Lachfältchen, ein wirkungssicheres Lächeln um den Mund: »Frau Berken, darf ich Sie willkommen heißen.« Sie stand etwas gebeugt, stellte sich als Charlotte Platen vor. Alja musterte sie überrascht, die Charlotte Platen. Sie hätte sie niemals erkannt, wie sollte eine Frau wie sie ausgerechnet auf Aljas Türschwelle stehen. Sie

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