Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Todesformel

Todesformel

Titel: Todesformel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Verena Wyss
Vom Netzwerk:
Mann genommen habe, dann ihre diversen Männerbeziehungen. In diesem Zusammenhang kam ihr Ausspruch vom ›brüchigen Erbmaterial‹, der Alja erschreckte. Ungerührt hatte sie es gesagt, brüchige Substanz, nicht schlecht, anders, porös, durchlässig, aber auch zerbrechlich. Sie habe zu wenig achtgegeben, möglicherweise wäre alles anders gekommen, wäre Meret ein Junge gewesen. Frauen seien an sich durchlässiger, bewusster. Die Brüchigkeit könnte eine neue Eigenschaft sein, möglicherweise eine Folge der Drogen, die sie immer wieder selbst getestet habe, synthetische Drogen, die Nutzung als Heilmittel, ihr Lebenswerk, wichtiger als Meret, wichtiger als persönliche Freude oder Lust.
    Alja fragte sich, was sie bezweckte, was sie von ihr wollte. Sie redete fast verträumt: »Ich bin alt, ich muss mein Werk sichern, dass es nicht in falsche Hände geraten kann wie in die meines Schwiegersohns. Das ist der Grund, alles zu regeln. Meret – nein, ich war keine gute Mutter, für Meret nicht und auch für Chantal nicht.« Das hat sie wörtlich gesagt. In einem anderen Zusammenhang sagte sie: »Dass jeder Mensch sich auf die Welt begibt, um eine genau bestimmte Biografie zu leben, in dieser Biografie bestimmte Fragen und Aufgaben zu lösen, das, was er tut, mit Bewusstsein zu durchdringen, dadurch nicht nur die eigene Substanz zu verändern. Diese Aufgabe ist größer oder kleiner und da könnte man sagen, den Schultern entsprechend, die sie zu tragen kriegen, oder anders herum, jeder kriegt jene Aufgaben zugeteilt, für die er auch die nötige Körperhaftigkeit aufzubauen vermag.«
    Ich habe es mir aufgeschrieben, ein schwer verdaulicher Brocken. Irgendwo sollte diese Notiz sogar noch sein.
    * * *
    Und wieder ist es Claas, dem ich am Abend diese Geschichte weitererzähle.
    Kaum ist Noël zu Bett, klingle ich oben. Natürlich komme ich gern für einen Augenblick herein, trinke ein Glas Tee. Ansatzweise erzähle ich von meinem heutigen Tag, Charlotte Platen fasziniert ihn, darum bin ich ja nach oben gekommen.
    Dass Charlotte Platen Bienen gezüchtet hat, erstaunt ihn nicht. Charlotte Platen hat Alja gegenüber das Lob der Bienenzucht angestimmt, eine kontemplative und philosophische Beschäftigung. Ob Alja gewusst habe, dass schon Epikur und Horaz die Bienenzucht empfohlen hätten? Sie gehöre wie das Anlegen und Pflegen eines Gartens zum Rückzug des Menschen auf sich selbst, zur Anleitung für ein glückliches Leben. Wie ich es erwartet habe, ist Claas begeistert.
    Claas sinniert, diese alte Lady! Alja, die kleine Aussteigerin, Charlotte Platen, die große Aussteigerin, die für das Aussteigen Vieler verantwortliche, gediegene abgeklärte alte Lady, die Skrupellose.
    Alja hat gelacht, wäre sie ein Mann gewesen, sie hätte sicher heimlich gehofft, sie komme ihretwegen, fünfzig ist relativ, ist nichts. Charlotte Platen zeige, die Persönlichkeit verliere sich nicht im hohen Alter, gewinne und gewinne. Damals müsse sie etwa fünfundachzig gewesen sein und eine Provokation für alle jene, die sagten, Drogen verursachten einen geistigen Zerfall. Klug sei sie gewesen – ›the pursuit of happiness‹.

7
    AUS ALJAS GARTEN: Zur Steuererklärung: Abwassertarife sind total lebensfeindlich, denn das Wasser ist der Grundstoff für alles Lebendige, hier ganz konkret für jedes Gras bis hin zum Mikroklima einer Region. Das ist doch eine so gemeinte verdeckte Luxussteuer. Das Gegenteil ist richtig, das Wasser für die Gartenpflege müsste gratis zur Verfügung stehen und die Arbeit wäre durch Steuersenkung zu ›honorieren‹ , nach Quadratmetern! Genügend zu wässern liegt im Interesse der Gemeinschaft, das Wasser kommt ja als Sauerstoff und Luftfeuchtigkeit im Kreislauf zurück! Wir brauchen die Pflanzen dringend, gerade in den Städten: Das Sprießende, Wachsende, Blühende – nicht nur ihre Früchte, auch ihre unsichtbare Ausstrahlung, ihre Lebenskraft, mit der sie doch mit uns Menschen in einem Austausch stehen.
     
    Noël und ich, wir kümmern uns nicht ums Mikroklima, wenn wir wässern, täglich. Es ist einer der in Erziehungsratgebern zu findenden Unsinne, dass man sich als Mutter durch kleine Ämtchen der Kinder ganz schön entlasten könne. Bei uns trifft das einfach nie zu, der Erziehungswert ist fragwürdig, der ›Unterhaltungswert‹ sowieso jedes Mal mäßig: Gib einem achtjährigen Jungen einen Kaktus und eine Zimmerlinde in Obhut: a) dass er etwas zu tun hat, b) die Sorge für eine Pflanze gibt Lebensbezug

Weitere Kostenlose Bücher