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Todesformel

Todesformel

Titel: Todesformel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Verena Wyss
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wolle die neue Besitzerin begrüßen. Wir seien ja jetzt quasi Nachbarn. Ihr hatte diese ehemalige Rapsmühle gehört – sie nannte sie ›Mey-Mühle‹ –, bis jetzt zum Verkauf an sie, Frau Alja Berken, die Musikerin. Sie habe die Mühle nie richtig bewohnt, diese sei einfach da gewesen, als hin und wieder genutztes Refugium. Sie lebe oben auf ›Holsten‹, dem Landsitz.
    Die Fakten wirbelten durcheinander, dann war Alja plötzlich klar, das musste die frühere Eigentümerin sein, ihr musste jene Immobilien-AG gehören; irgendein schmalbrüstiger Jurist hatte ihr gegenübergesessen. Der Name Charlotte Platen war nie genannt worden, doch genau sie könnte Achims Chemieheini gewesen sein. Es war Nachmittag. Alja hat Charlotte Platen eingeladen, mit ihr Tee zu trinken. Sie war der erste richtige Gast in ihrem neuen Heim.
    Bei ihrem Eintreten war offensichtlich, dass sie alt war, ein behutsamer Gang, ein leises Sich-Orientieren im Raum, ein Sich-Abstützen auf ihrem Stock beim Sich-Hinsetzen. War dieser Stock nun ein Standeszeichen oder brauchte sie eine Gehhilfe? Menschen benutzen eine Gehhilfe, wenn sie es vor Schmerzen kaum aushalten, also hätte sie Schmerzen. Es entspräche dem Alter, den grauen Haaren, gewellt, schimmernd, gepflegt, kinnlang weich geschnitten, im Nacken auf dem Kragen des Jacketts aufstehend.
    Charlotte Platen wollte das Haus besichtigen. Nie wird Alja ihr Unbehagen vergessen. Bisher hatte sie nie ein Haus für sich allein bewohnt, die Zimmer waren noch so gut wie leer. Frau Platen würde es überleben, das waren jetzt eben Aljas Zimmer, das breite, weiche Luxusbett, das Südstaatensofa mit den gepolsterten Armlehnen, überzogen mit üppig geblümtem gelben Damast, großen weichen hellgelben Seidenkissen mit schiefergrauen Troddeln. Der Holländer-Schiefertisch und die Tessinerstühle mit den Sitzen aus Strohgeflecht, deren Holzteile Alja noch immer regelmäßig mit dunkler Möbelpolitur behandelt, standen im Korridor. Das Cembalo fehlte, doch wozu sollte Alja eines hier haben; ihre Finger waren ja steif. Längs der Wand reihten sich Bücherkisten. Da lag kein Teppich, hing kein Bild und es fehlten die Vorhänge.
    Charlotte Platen saß hier, trank Tee und Alja fragte sich, was sie herführen mochte; es wäre doch seltsam, eine Charlotte Platen hätte Zeit für Nachbarschaftsbesuche. Sie plauderte in weichem, etwas schleppendem Ton überaus zuvorkommend über das Wetter. Dass es ihr um etwas ging, meinte Alja im Hintergrund ihrer Augen zu lesen. Sie unterhielten sich über die Vorzüge des Landlebens im Jura, der rein geografisch eine gewisse Ähnlichkeit habe mit gewissen Landstrichen in Mittelamerika oder beispielsweise sogar mit dem Hinterland von Lima, über die Entfernung zur Stadt, die auch nur in diesen Zwergenland-Verhältnissen überhaupt thematisiert werden könne, was seien schon fünfundzwanzig Kilometer. Wie Alja vom Garten redete, den sie anlegen wolle, etappenweise, nicht zu viel auf einmal, zunächst müsse sie roden, dann aber einerseits naturnah, andererseits sich in die europäische Kulturtradition stellend, lächelte Charlotte Platen verschmitzt. Von jetzt an hielt sie Aljas Blick fest. Alja wisse sicher, dass sie sich ihr Leben lang den Pflanzen und ihren Wirkungsweisen, ihren Zusammenhängen mit Kosmos, Erde und Mensch gewidmet habe, pausenlos, leidenschaftlich. Die Gärten, das liege in der menschlichen Natur, alles sei Rhythmus, Mathematik. Der Zugang des menschlichen Verstands und Sinns zu den Prinzipien geht über die Sterne und die Pflanzen. Früher habe sie sich hierher zurückgezogen zum Experimentieren. Das sei lange her, da sei Alja wahrscheinlich noch am ›Häschen-in-der-Grube‹-Spielen gewesen. Übrigens habe sie sie mehrmals in Konzerten spielen gehört. Auf Aljas Richtigstellung, sie sei nur die Üb-Pianistin gewesen, lächelte sie wieder ihr Strahlelächeln. Wie sehr sich ein Mensch in seiner Bescheidenheit zurücknehme, erstaune sie immer. Sie sei nie eine Liebhaberin von Premieren gewesen. Als Stiftungsratsmitglied der ›Philharmonie‹ habe sie das Privileg gehabt, den Hauptproben beizuwohnen. Das sei sowieso interessanter als ein Galakonzert, die Stimmung des Orchesters schlage am besten durch in der Hauptprobe.
    All das lag damals noch nicht einmal ein Jahr zurück, jetzt schien es schon zu einer anderen Welt zu gehören. Es war der Tonfall, das Kompliment, Charlotte Platen. Alja hörte ihr gebannt zu.
    »Das sei es, worum es gehe.« Sie zog fast

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