Todesformel
eingelassen. Über den Innenrand laufen hebräische oder arabische Buchstaben, eine Schrift. Behutsam fahre ich mit dem Mittelfinger darüber hin. Meret Platen lächelt: »Ein Trinkspruch, ›hazlacha we bracha‹, Glück und Segen. Sie haben ja schon Ihren herzigen Jungen, es kommen sicher noch weitere Kinder dazu, vielleicht ein Mädchen. Auf jeden Fall ist diese Schale ein Geschenk, hat nichts mit einem Honorar zu tun.«
Spontan denke ich, und ich weiß, es ist ein unpassender Gedanke, eine Schale, sie gefällt mir, ich werde sie Noël nicht abgeben. Er wird sie mir abschmeicheln wollen, als Fritzis Futternapf, klein und sehr schwer. Ich freue mich und zeige dies auch »Sie wird einmal meinem kleinen Mädchen gehören.« Meret Platen schaut mich schweigend an.
Ich fliehe dieser Intensität, verabschiede mich fliegend. Es ist gut möglich, dass diese Meret Platen doch überspannter ist als erlaubt, wo sind die Grenzen? Warum eigentlich sollte ich ihr irgendwie vertrauen? Nur weil Alja sie mir angehängt hat? Alja kann diese Frau nie so erlebt haben. Wie kann Alja sich denn so sicher sein? – Ich renne fast zum Auto, Moshe muss endlich Pipi machen können.
Moshe begrüßt mich freudig japsend. Ich steige gleich ein, rede in den Rückspiegel, er soll bleiben, wo er ist, wir sind gleich da, er ist ein wunderbarer Schnuckiputz, der so lange warten kann. Ich fahre die breite, geteerte Einfahrt hinunter, fahre durch das weit offen stehende Eingangstor. Die Torflügel schwingen automatisch hinter dem ›Jeep‹ zu, ich sehe es im Rückspiegel. Gleich nach der nächsten Biegung stoppe ich an der Mauer, gehe nach hinten, hieve den ›Kleinen‹ aus dem Heck, stelle ihn am Wegrand ins Gras. Hinter der Mauer beginnt jetzt ein wütendes Bellen und Gejaule. Moshe hält lauschend seinen runden Kopf schief, bellt mit heiserer Junghundestimme. Noch lauteres Bellen auf der anderen Seite, eine Männerstimme, da ist also doch jemand? Ein schriller Pfiff, ein Kommando. Seltsam. Ich fühle mich höchst ungemütlich. Am Waldrand wäre ein besserer Pinkelplatz. Ich packe Moshe, stemme ihn hoch, zurück ins Heck, knalle die Heckklappe zu. Ich bin eben eingestiegen, blicke in den Rückspiegel, um wegzufahren, da rasen zwei Hunde um die Mauerecke. Ich drehe mich um, um zu sehen, Bull und Bear, grauweiße zottige Schäferhunde, schon sind sie da, springen am ›Jeep‹ hoch, bleckende Schnauzen, Speichel an den Scheiben. Ich drücke die Knöpfe, die Fenster schieben automatisch vollständig hoch, die Türen sind schon verriegelt. Ich drehe den Schlüssel, starte langsam im Rückwärtsgang. Die Hunde konzentrieren sich auf das Heck, wo sie anscheinend Moshe entdeckt haben. Sie haben sich an der Stoßstange aufgerichtet, hecheln, knurren und bellen mordlüstern durch die Scheiben.
Ich fahre Handbreite um Handbreite rückwärts in Richtung Tor, es sind immerhin Hunde, ich will sie nicht verletzen, sie müssen bloß weg. Das Tor steht weit offen.
Endlich tritt jemand durch die Büsche in die Einfahrt, schlendert die Einfahrt herunter, bleibt an der Kurve stehen, pfeift durch die Finger. Das ist Mattis Platen-Alt – der Veterinär. Die Hunde jagen ihm entgegen, zwei hellgraue Blitze, ein Befehl, sie liegen völlig reglos am Boden.
Mein Reflex jetzt wäre – wegfahren. So nicht. Rückwärts fahre ich neben ihn, lasse die Fahrerscheibe nach unten. »Haben Sie das Tor wieder geöffnet? Es ist ein unwahrscheinliches Glück, dass Ihre Hunde meinen jungen Hund nicht erwischt haben. Ich denke, sie hätten ihn zerrissen.« Ich kann keine dunkle Aura sehen, ich bin keine Katze.
»Sollte ich wissen, wer Sie sind?«
»Sollten Sie nicht, ich bin die Anwältin Ihrer Schwägerin, ihre Vertreterin, Bach.« – Kalt schaue ich ihn von oben an, er ist auf jeden Fall kleiner als ich, doch ich kann ihn nicht einschätzen, nicht äußerlich, nicht innerlich: »Ihre Hunde haben meinen Welpen gehört, das Tor war schon geschlossen und wurde wieder geöffnet. Lassen Sie immer die Hunde los, wenn Ihre Schwägerin Besuch hat?« – Ich kann es nicht zurückhalten.
Erstaunt zieht er die Augenbrauen hoch, ein schöner Mann. Jetzt rieche ich ganz schwach auch sein Aftershave, ›Fahrenheit‹. Obenhin meint er: »Ich habe gesehen, dass kein Auto mehr da war, unsere Hunde bewegen sich immer frei im Areal, das Tor muss sich automatisch wieder geöffnet haben.«
Ich nehme ihn scharf ins Auge, was hat Sven von der Kälte ganz hinten in seinen Augen gesagt? – Ein
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