Todesformel
Spaßes: »Auf einen schönen Frühling.«
Sven schaut ernst, schaut mich an. »Jennifer, wir müssen da durch. Es soll dir gut gehen, hör zu.«
Irgendeinmal hat der Herr Direktor Mattis Platen-Alt vertraulich gelacht, es interessiere Sven sicher, dass Kunst sehr wohl zu den kleinen Geschenken gehört, die die Freundschaft erhalten. Ganz harmlos hat er ihm die Vorgänge des großen Kunstmarkts erklärt, die Künstler als Spielball, mit denen jongliert wird, die elegante Art der Geldtransaktionen. Über die Stilrichtung könne man sich unterhalten, das gehe von der Antike über Fernost, dann unsere europäische Klassik bis zu jenen zeitgenössischen Künstlern, die in den modernen Museen ihren Platz haben. Wo denn seine persönliche Vorliebe liege, man müsse wohl in der Größenordnung von zweihundert- bis vierhunderttausend Euro rechnen, das sei bescheiden und liege drin bei einem persönlichen Geschenk unter Freunden. Als ob er wüsste, dass Sven sich für Kunst begeistern kann, Sven liebt Bilder. Wenn er dies jetzt so denkt, habe er ein schales Gefühl. Du kannst ihm nicht einmal Beamtenbestechung nachweisen, er hat ja nur eine Geschichte erzählt, gerissen.
Ich kann folgen, Augen zu und durch. Mein Ausschnitt ist eine Spur zu tief, wenn ich es bemerke wie jetzt, ziehe ich unauffällig hinten am Shirt, dann rutscht er vorn hoch.
Auch bei mir hängen Bilder an der Wand, Farbdrucke und Plakate, eine Gemeinsamkeit. »Ich mag Farben. Irgendeinmal kaufe ich ein richtiges gemaltes Bild, eines dieser Seelenbilder von jemandem, der die Farben auf die Weise hingesetzt hat, dass ich mich daran freue. Hast du gewusst, dass die Farben in einem Raum sogar im Dunkeln auf uns Menschen wirken?
Das hat diese Sprachtherapeutin gesagt, darum sind in dieser Schule alle Zimmer und Korridore in Pastelltönen gestrichen.«
Sven hört nicht, wovon ich rede. »Als Mattis Platen-Alt über Firmenkultur und über interne Sicherheit redete, meinte er in einem Nebensatz, überall könne einem ein Ziegel auf den Kopf fallen. Im Zusammenhang mit dem ganzen Gespräch könnte das eine versteckte Drohung gewesen sein.«
Ich denke: ›Du kommst so nicht weiter‹, und weiß nicht genau, was ich damit meine. Lustlos schiebe ich die letzten zwei ›Pommes rissolées‹ auf die Gabel, schaue dem schönsten Mann ins Gesicht, die feine Einbuchtung an den Schläfen, die weichen kleinen Mulden bei den Mundwinkeln, die schmalen Nasenflügel, diese sehr schöne Biegung der Nase, ich möchte mit der Fingerkuppe diese Züge ertasten. Sven sieht mich intensiv an und sieht mich gar nicht. Er redet und redet, sichtend, ordnend, unbeteiligt, doch immer verbissener.
Mattis Platen-Alt ist auch auf die Karrieren von Juristen zu sprechen gekommen. In seiner geschliffenen Art redete er von Wechselkarrieren, zum Beispiel aus einer Beamtenlaufbahn in eine steile Karriere in der Privatwirtschaft, kluge Köpfe lernten schnell. Ab und zu ergäben sich auch mit der Verwandtschaft einer Frau neue Beziehungsnetze. Ob Sven Golf spiele?
Sven hat den Verwaltungspalast der ›Delton Biotec‹ mit einer der berühmten Wirtschaftsillustrierten in der Tasche verlassen. Darin ist Mattis Platen-Alt in einem ausführlichen Porträt dargestellt, mit Interview. Dies sei einer jener seltenen, verantwortungsbewussten Wirtschaftsmagnaten, die durchaus noch Zeit fänden für ein reiches kulturelles und soziales Engagement. Er lebe exemplarisch die rühmenswerten Eigenschaften der Eliten, übernehme gesellschaftspolitische Verantwortung.
Ich frage mich, ob Sven weiß, was er löffelt, überbackenen Erdbeerschaum mit Früchten. Er grübelt, ob das normal sein soll, ein Landhaus, das zur Festung aufgerüstet ist, ummauert, gesichert mit elektrischen Alarmanlagen, ein zusätzlicher, gesicherter innerer Bereich ums Haus, bewacht von scharfen Hunden. »Ist es normal und realitätsgerecht, die Schließkontrolle mit geladener Waffe durchzuführen? In welcher Realität leben diese Menschen?«
Ich schaue auf seine Lippen, die ausgeprägte weite Rille, die von der Nase dazu geht, frage mich gleichfalls, was denn normal sei.
Wir haben fertig gegessen. Einen Espresso wollen wir nicht trinken, meint Sven, da wir beide einen so stressigen Alltag haben. Wir brauchen unseren Schlaf.
* * *
Alja ruft an. Ihre Stimme ist tonlos, ein Flüstern. Sie hat Grippe, doch es gibt ein Problem, über das sie unbedingt mit mir reden muss. Nein, ich kann jetzt nicht einfach alles stehen und liegen lassen. Ja,
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