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Todesformel

Todesformel

Titel: Todesformel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Verena Wyss
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natürlich ist Noël wieder in der Schule. Ich habe eine Kanzlei, ich arbeite. Alja realisiert irgendwie nicht, dass es Leute gibt, die am Morgen und am Nachmittag so arbeiten, dass kein Platz ist für Privatgespräche.
    Die Türglocke meiner Kanzlei ding-dongt mitten im harzenden Gespräch mit einem zur Scheidung hart entschlossenen Ehemann. Lukas kommt herein, stört: »Frau Berken sitzt jetzt im Vorzimmer.« Ich möchte auffahren, presse die Lippen zusammen. Alja muss warten, sicher noch zwanzig Minuten. Ich setze das Gespräch fort. Alja hat mich neulich schon einmal sehr gestört, mit lang anhaltenden Auswirkungen.
    Als ich sie hole, sitzt sie noch immer in ihren weiten Kapuzenmantel gewickelt etwas vornüber gebeugt auf dem Wartestuhl, gerötete Nase, rot geflecktes Gesicht, verschwollene Augen. Sie tut mir zwar leid, doch ich habe höchstens eine Viertelstunde Zeit für sie.
    Alja redet kurzatmig. »Ich habe keine Angst, Angst ist eine Folge nicht klaren Denkens. Du hast normalerweise einen guten Kopf und du hast die Unbefangenheit der Jugend.« Jetzt hustet sie rasselnd, kann gar nicht mehr aufhören, sie wird mir die Kanzlei verseuchen. Ich rufe nach Lukas, er soll eine Tasse Tee mit Zucker bringen.
    »Ich war gestern schon krank und habe am Mittag ein heißes Bad genommen, ein ›Aspirin‹ geschluckt, heißen Tee getrunken und mich in meinem Zimmer oben ins Bett gelegt. Die meisten Grippen lassen sich so kupieren.« Aljas Stimme hat keinen Ton, es ist sogar anstrengend, ihr zuzuhören. »Ich bin dann um halb fünf Uhr wieder erwacht, als ich die Türfalle klicken hörte, da war jemand in meinem Zimmer. Ich habe mich nicht gerührt, einmal meinte ich, im Zimmer eine Bewegung zu spüren. Ich habe die Augen nicht geöffnet, denn ich war ja in der dummen Position, ich lag. Ich hörte nicht, wie die Tür wieder geschlossen wurde, dann hörte ich das Knacken der dritten Treppenstufe. Jetzt schaute ich auf den Wecker, es war halb fünf am Nachmittag. Erst eine Viertelstunde später ging ich nach unten. Es war kaum zu bemerken, doch alle meine Schubladen und das Büchergestell, jedes Buch, sind durchsucht worden. Jemand hat den Teppich hochgehoben und die Kissen des Sofas bewegt. Da war kein Durcheinander und nichts ist kaputt. Das Bargeld in einem der Schubfächer des Büfetts ist noch da. Jemand hat etwas ganz Bestimmtes gesucht, ich weiß leider, was es ist.«
    Lukas ist hier mit dem Teetablett. Ich hole die Cognacflasche aus dem Schrank. »Du musst den Tee mit Cognac trinken. Du kannst in diesem Zustand sowieso nicht fahren. Du legst dich oben hin, fährst später zurück. Wenn du denkst, jemand ist eingebrochen, warum rufst du nicht die Polizei oder wenigstens Knut an?«
    Ich schenke ein, überlege, wie viel Anregung Aljas Herz gut tut, gebe einen großen Schuss Cognac dazu, zwei Zucker.
    »Es ist etwas, das vielleicht mit Felix’ Tod und mit diesen anderen Toten zu tun hat. Das waren Knuts Freunde.« Alja hustet wieder erbärmlich, ihr Gesicht wirkt sehr müde und ich sehe sie, wie sie als alte Frau aussehen wird. »Auf dem Spaziergang an jenem Samstag, an dem wir die Ostereier färbten, als wir zuvor zur Krete hochgingen, erinnerst du dich, da ist Moshe doch vom Weg gegangen, ich holte ihn zurück, du hast gewartet. Moshe hatte eine Felsspalte entdeckt, ein Loch, er war völlig besessen davon. Es musste etwas drin sein. Ich habe einen kleinen, flachen Karton herausgezogen. Das Loch war ein toter Briefkasten, offensichtlich in Gebrauch. Es ist besser, damit nichts zu tun zu haben. Also steckte ich das Päckchen zurück ins Loch.«
    Ich höre zu, Aljas Worte sind undeutlich, was erzählt sie da? Alja, Moshe und ich sind von diesem Spaziergang in die Mühle zurückgekehrt, Alja hat ein Feuer gemacht. Wir haben Ostereier gefärbt, wir haben Tee getrunken, geplaudert. Ich habe ihr das Herz ausgeschüttet, sie hat mich aufgemuntert. Ich bin nicht im Leisesten auf die Idee gekommen, dass Alja irgendetwas erlebt hätte. Wie unsensibel bin ich denn? Alja spricht kurzatmig:
    »Dann warst du weg. Ich war recht stolz auf mich, da ich es geschafft hatte, während du hier warst, einfach nicht daran zu denken – das Beherrschen des Denkens, es war dem Klavierspiel förderlich; die reale Frucht jahrzehntelanger Meditation.« Alja schnalzt leise, gluckst sie vergnügt? Sie hustet. »Einer der Vorteile des Alterns liegt in der Sicherheit der Technik.«
    Ich stehe auf, lege die Hand auf ihre Schulter. »Alja, geht es dir

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