Todesfrist
16 waren ebenfalls doppelt so groß. Sabine trat an die Tür des schmalen Abstellplatzes, der an Carls Abteil grenzte. Keine Nummer!
»Sehen Sie mal«, sagte sie. »Carl könnte eine Zwischenwand eingezogen und hier eine zusätzliche Tür angebracht haben.«
Sneijder presste das Ohr an die Bretter. »Nichts zu hören … aber riechen Sie das?«
Sabine nickte. Beißender Uringestank drang durch die Ritzen der Tür, und es war bestimmt keine Rattenpisse. Sneijder rüttelte am Griff. Ein schweres Vorhängeschloss schepperte. Auf diesem Rahmen klebte keine Plombe. Die Kripobeamten hatten also keinen Blick hinter die nummernlose Tür geworfen. Sneijder machte einen Schritt zurück, holte aus und trat dagegen. Das Holz knirschte. Der Rahmen verbog sich. Noch einmal trat er gegen die Tür. Er war kräftiger, als Sabine ihn eingeschätzt hatte. Offensichtlich versetzte ihm die Mörderjagd einen gehörigen Adrenalinstoß. Beim dritten Versuch splitterte das Holz, und die Tür flog auf.
Das spärliche Licht des Korridors fiel in den Raum. Sneijder tastete an der Innenseite nach einem Lichtschalter und betätigte ihn. Es klickte, doch dieses Kellerloch blieb dunkel. Mittlerweile hatten sich Sabines Augen an das Dämmerlicht gewöhnt. Am Ende des Raumes lag eine Matratze auf dem Boden, darauf erkannte sie die Umrisse eines Menschen. Ihr wurde speiübel. Aber sie musste sich überwinden! Sie trat ein und hockte sich vor die Matratze. Die Mischung aus Kot und Urin stank bestialisch. Sie tastete mit den Fingern über eine Decke und spürte die kalten, nackten und dürren Beine eines Menschen.
»Hier liegt jemand«, flüsterte sie.
»Rühren Sie nichts an!«, sagte Sneijder. »In Carls Küche liegt eine Taschenlampe. Ich bin gleich wieder da.«
»Warten Sie!« Unwillkürlich flüsterte Sabine. Sie kramte ihr Handy aus der Jeanstasche und aktivierte das Display. »Halten Sie das!«
Sneijder griff nach dem Handy und leuchtete über die Matratze. Die Frau war etwa vierzig Jahre alt und hatte langes, verfilztes Haar. Sie trug eine eng geschnittene Unterhose und ein Unterleibchen mit dünnen Trägern. Beides war von Schweiß und Kohlenstaub verdreckt. Sie rührte sich nicht. In ihrem Mund steckte ein Knebel. Sneijder beleuchtete ihre Gliedmaßen. Hand- und Fußgelenke waren mit Kabelbindern zusammengeschnürt und an zwei schwere Sonnenschirmständer aus Beton gebunden. Wie er es vermutet hatte, waren die Eisenzapfen mit Schaumstoff umwickelt. Die Frau lag auf der Matratze wie auf einer Streckbank.
Sabine suchte an ihrer Halsschlagader nach einem Puls. Es war unglaublich. »Sie lebt.«
Sneijder leuchtete ihr ins Gesicht. Ihre Augen waren geschlossen. Sie zeigte keine Reaktion. Das Gesicht war genauso eingefallen wie der Rest ihres Körpers. Ihre Wangenknochen traten hervor, die Lippen waren spröde. Bestimmt hatte sie seit Wochen nichts zu essen bekommen.
Vorsichtig zog Sabine ihr den Stoffknebel aus dem Mund. Hinter dem Knäuel ertastete sie einen weiteren Fetzen. Mit spitzen Fingern fuhr sie der Frau in den Rachen und nahm das matschige Tuch heraus. Es war feucht und roch säuerlich nach Erbrochenem. Ein Wunder, dass die Frau nicht erstickt war.
Sabine wandte sich an Sneijder. »Wir brauchen einen Krankenwagen.«
»Vorsicht!«
Aus dem Augenwinkel sah Sabine, wie der Kopf der Frau nach vorn schnellte. Dann spürte sie den Biss. Die Zähne bohrten sich mit aller Kraft in ihre Hand. Sabine schrie auf. Der Schmerz fuhr ihr wie ein Peitschenhieb durch den Körper. Sogleich war Sneijder
neben ihr. Er packte den Kopf der Frau und drückte ihr mit dem Daumen hinter das Ohr. Doch die Kiefer der Frau waren wie eine Beißzange. Ihre Zähne gruben sich tiefer in Sabines Fleisch. Blut lief ihr übers Handgelenk.
»Tun Sie doch was!«, rief Sabine.
Sneijders Druck verstärkte sich. Langsam öffnete die Frau den Mund. Sabine zog die Hand zurück, und der Kopf der Frau sank zurück auf die Matratze. Sie hustete, dann gingen die Geräusche in ein Würgen über. Sneijder leuchtete mit dem Display auf Sabines Verletzung. Der Zahnabdruck umfasste Handrücken und Handballen. Blut strömte aus der Wunde.
»Es geht schon«, sagte sie.
Sneijder beleuchtete mit dem Display sein Gesicht. »Wir sind hier, um Sie zu befreien, Sie sind in Sicherheit.«
Die aufgerissenen Augen der Frau stachen aus dem abgemagerten Gesicht hervor und fixierten Sneijder. Dann rollten die Pupillen herum und schielten zu Sabine.
»Wir holen einen Arzt und helfen
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