Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Todesfrist

Todesfrist

Titel: Todesfrist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Gruber
Vom Netzwerk:
rausgefallen.«
    »Danke.« Er schlüpfte in das Kleidungsstück mit den mittlerweile eingetrockneten Blutflecken und zog Tabak und Zigarettenpapier aus der Seitentasche.
    »Ich vermute, Sie kaufen bei Haital keine Bücher, sondern klauen sie«, sagte sie freiheraus.
    Sneijder hielt mitten in der Bewegung inne. Plötzlich setzte er sein berühmtes Leichenhallenlächeln auf. »Wie kommen Sie darauf?«
    »Sie kleben das Etikett auf die erste Seite, knicken ein paar Eselsohren rein, schreiben eine Widmung ins Buch, biegen es einmal um, dass der Buchrücken knackt, und stecken ein Lesezeichen rein.«
    »Sie sind verrückt.«
    »Ein Irrtum, Herr Kaufhausdetektiv«, äffte sie seine Stimme nach. »Dieses Buch gehört mir. Ich lese schon seit zwei Wochen an dieser Biografie.«
    »Sie sind verrückt«, wiederholte er.
    »Ich denke eher, Sie sind verrückt! Mir machen Sie nichts vor! Könnte ich nicht beobachten und eins und eins zusammenzählen, wäre ich wohl kaum bei der Kripo. Als Sie in München die Buchhandlung betraten, hatten sie kein Buch dabei. Als Sie rausgingen schon. Ebenso im Wiener Flughafen.«
    Seelenruhig rollte er sich eine Zigarette. »Weshalb sollte ich das tun?«
    »Ich nehme an, es geht Ihnen speziell um die Haital-Filialen. Was bedeuten die Nummern auf den Etiketten?«
    »Was schon? Das sind Ex-libris-Nummern.«
    »Ich fasse es nicht! Sie haben im Lauf der Zeit vierhundert Bücher gestohlen?«
    »Dreihundertachtundneunzig«, korrigierte er sie. Es klang wie ein Geständnis, und er schien stolz darauf zu sein.
    »Ist Ihr Gehalt so mickrig, dass Sie Bücher klauen müssen?«
    »Das verstehen Sie nicht.« Er verließ den Innenhof und ging auf
die Straße, wo er das iPhone aus dem Sakko zog. »Unser Gepäck ist in Kohlers Wagen, und wir haben keinen Autoschlüssel.«
    »… und mit dem Dietrich können Sie nicht umgehen«, ergänzte sie.
    »Korrekt.« Sneijder blickte nach oben. Der Himmel war immer noch bewölkt. Nur vereinzelt kamen Sonnenstrahlen durch. »Lassen Sie uns zum Kriminalamt auf dem Josef-Holaubek-Platz gehen.« Er kippte das iPhone und vergrößerte die Ansicht des Routenplaners, der ihnen den Weg durch Wien zeigte.
    Sabine folgte ihm. Einige Minuten lang sagte sie nichts. Sie erreichten eine Querstraße und folgten den Straßenbahnschienen. Eine alte Tramway rasselte an ihnen vorbei. Funken schlugen aus der Oberleitung. Bei diesem Anblick hätte Vaters Herz höher geschlagen.
    »Das ›S‹ steht für Somerset?«, fragte sie schließlich.
    »Keiner meiner Kollegen weiß, wofür es steht«, antwortete er. Es klang wie eine Drohung.
    Sabine schmunzelte schadenfroh. »Keine Sorge, ich werde unser kleines Geheimnis niemandem verraten – Somerset.«
    »Mein Vater gab mir diesen Namen, nach William Somerset Maugham. Somerset war Schriftsteller, Geheimagent und Arzt.«
    »Und ein Dieb?«
    »Vervloekt!« Er rieb sich die Schläfen. Im nächsten Moment hatte er sich wieder unter Kontrolle. »Mein Vater führte in Rotterdam eine kleine Buchhandlung. Lief nicht besonders gut. Ein Jahr vor der deutschen Wiedervereinigung verließen wir die Niederlande. Vater eröffnete in Duisburg einen neuen Buchladen und spezialisierte sich auf Lyrik, Geschenkbände und anspruchsvolle Literatur. Das Geschäft florierte, bis eine Haital-Filiale in derselben Straße eröffnete.«
    »Das ist kein Verbrechen.«
    »Sie haben ja keine Ahnung«, knurrte er. »Mit Ihrer ländlichen bayerischen Naivität sehen Sie nicht über den Rand eines Milcheimers hinaus. Haital ist ein Konzern, der nur ein einziges Ziel
kennt: Gewinne maximieren! Der Vorstand setzt die Konkurrenz so lange unter Druck, bis sie ruiniert ist. So gehen kleine Familienunternehmen den Bach runter, und Haital breitet sich wie ein Krake auf dem Buchmarkt aus. Aber Sie mit Ihren Hörbüchern haben davon ja keine Ahnung.«
    Bayerische Naivität! Am liebsten hätte sie ihm den Hals umgedreht. »Mit Ihren Aktionen schaden Sie denen ja unheimlich«, entgegnete sie ironisch. »Vierhundert Bücher – das sind gerade mal vier- oder fünftausend Euro Umsatzeinbuße. Zwei Monatsgehälter einer Verkäuferin inklusive Nebenkosten. Denken Sie tatsächlich, das juckt die?«
    »Eher vier Monatsgehälter. Außerdem geht es ums Prinzip. Ich muss das tun.«
    »Sie sollten Ihre Zwangsneurose behandeln lassen.«
    Er antwortete nicht. Etwas anderes hatte Sabine auch nicht erwartet.
    Sie blickte sich um. »An dieser Ecke hätten wir abbiegen müssen.« Sie nahm Sneijder das

Weitere Kostenlose Bücher