Todesfrist
Josef-Holaubek-Platz. Wir treffen uns in einer Stunde dort.« Er folgte dem Arzt in den Fond des Rettungswagens. Die Sirene heulte auf, und das Auto fuhr mit quietschenden Reifen davon.
Sneijder sagte kein Wort.
Sabine wischte sich die blutigen Hände an den Jeans ab. »Das war es dann wohl.«
»Für Sie vielleicht, weil der Kerl ziemlich sicher Ihre Mutter ermordet hat.« Sneijder wiegte den Kopf. »Aber die Sache ist nicht rund.« Er steckte sich eine selbst gedrehte Zigarette an und inhalierte den Rauch mit geschlossenen Augen. Tabakfusel hingen an seiner Lippe, er zupfte sie weg. Die Leute starrten immer noch herunter.
Sabine roch das Gras, und ihr wurde übel. »Was gefällt Ihnen nicht daran?«
Sneijder sagte eine Weile nichts. Er ließ das Gras wirken. Schließlich öffnete er die Augen. »Das kann ich Ihnen verraten. Warum hatte Carl eine Waffe griffbereit, wenn er doch nur am PC saß? Und weshalb wollte er in seiner eigenen Wohnung durchs Fenster abhauen, als er Einbrecher an der Tür hörte?«
»Ist doch klar. Weil die Kripo seine Wohnung durchsucht und eine Plombe an der Tür angebracht hat, die er abreißen musste«, antwortete sie. Warum dachte Sneijder so kompliziert?
Er runzelte die Stirn. »Möglich – aber unwahrscheinlich.«
»Sehen wir uns die Festplatte seines PCs an«, schlug sie vor.
Er schüttelte den Kopf, als interessierte ihn der Computer so viel wie die bevorstehende Pfingstmesse des Papstes. »Ist Ihnen in der Küche die Leibschüssel aufgefallen?«
»Wurde kürzlich benutzt. Stank entsetzlich«, sagte sie.
»Daneben lagen alte Stofffetzen, Kabelbinder und in Stücke geschnittene Schaumstoffteile.«
Die Kabelbinder waren ihr nicht aufgefallen, der Rest schon.
»Wird jemand an ein Rohr oder Gitter gefesselt, dann werden meist vorher die Eisenteile mit Schaumstoff umwickelt, damit man mit den Fingerknöcheln keine Geräusche machen kann.«
»Und die Fetzen dienen als Knebel?«, fragte Sabine.
Sneijder nahm einen weiteren Zug. »Wäre eine Möglichkeit.«
Ihr kam die Idee zu weit hergeholt vor. »Glauben Sie, er hält seine Mutter in den Katakomben einer nahegelegenen Kirche gefangen?«
Sneijder schüttelte den Kopf. »Die Leibschüssel deutet darauf hin, dass sein Opfer in unmittelbarer Nähe ist.« Er drückte den Zigarettenstummel auf dem Boden aus. »Eichkätzchen, durchsuchen wir den Keller des Hauses.«
27
Die Treppe, die in den Keller des Altbaus in der Lassallestraße führte, war so eng wie der Abgang in ein mittelalterliches Verlies. Es roch nach Kartoffeln, Mohrrüben und Moder. Die Feuchtigkeit steckte wie ein Parasit in den Wänden. Die Stromleitung lag über Putz, und auf den Glühlampen klebte das eingetrocknete Kondenswasser von den verrosteten Fassungen. Die Birnen tauchten den Gang vor Sabine in einen rotbraunen Schimmer. Ein Wunder, dass die Sicherungen nicht wie Feuerwerkskörper aus dem vorsintflutlichen Stromkasten flogen.
Sneijder folgte ihr. Etwa drei Meter unter dem Mezzanin gelangten sie zu einem Holzverschlag mit offenem Vorhängeschloss. Die Tür quietschte in den Scharnieren. Dahinter lag ein Korridor mit gewölbter Ziegeldecke, der in die Dunkelheit führte.
Sneijder bohrte den Finger ins rissige Mauerwerk. »Ein alter Luftschutzkeller aus dem Krieg«, stellte er fest. »In Rotterdam gibt es Dutzende davon. Das Fundament des Gebäudes müsste mitsamt Keller unter Denkmalschutz gestellt werden – aber ich nehme an, in Wien gibt es Hunderte Häuser dieser Art.«
Schlagartig erinnerte sich Sabine an den Leichengeruch aus dem Brunnenschacht des Dresdner Doms. In ihr sträubte sich alles dagegen weiterzugehen. Sie wollte keine weitere Tote entdecken. Sneijder drängte sich an ihr vorbei und ging voraus. Das Klappern seiner beschlagenen Sohlen hallte schaurig an den Wänden wider. Zögernd folgte sie ihm.
Sneijder hielt vor einer Holztür. Kellerabteil Nummer 9. Auf dem Holzrahmen klebte eine Plombe. Er riss sie herunter, öffnete die Tür, fasste hinein und knipste das Licht an. Eine verschmutzte Fünfundzwanzig-Watt-Birne schimmerte an der Decke. Weniger
Licht war kaum noch möglich. Autoreifen, Kanister, Auspuffrohre und alte Benzinmotoren stapelten sich in dem schmalen Raum.
»Fehlanzeige«, murmelte Sneijder.
Sabine betrachtete die Kellerabschnitte mit den Nummern 1 bis 8. Sie waren doppelt so groß wie der von Carl. Warum besaß ausgerechnet der Mechaniker den kleinsten Bereich für seinen Krempel? Die Abteile mit den Nummern 10 bis
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