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Todesfrist

Todesfrist

Titel: Todesfrist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Gruber
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den Weg. »Hören Sie mir einen Augenblick zu.« Er tippte Sneijder an die Brust. »Sie haben vorhin gute Arbeit geleistet, aber ich muss Sie hier nicht runterlassen. Ich könnte Sie wegen Waffenbesitzes, Einbruchs, Körperverletzung und Behinderung einer laufenden Ermittlung festnehmen. Mein Vorgesetzter ist nicht gerade begeistert, dass ein Kollege aus Deutschland nach Wien kommt, mit einer Glock herumballert und Kellertüren eintritt. Ich will das nur mal klarstellen.« Er nahm den Finger von Sneijders Brust.
    Sneijder wirkte nur mäßig beeindruckt, als hörte er solche Anschuldigungen nicht zum ersten Mal. »Aber im Gegensatz zu Ihrem Boss können Sie gute von schlechten Beamten unterscheiden?« , fragte er.
    »Das kann ich«, antwortete Kohler. »Deshalb lasse ich Sie in diese Kirche, damit Sie einen Blick auf den Tatort werfen. Und dann erzählen Sie mir, womit wir es hier zu tun haben.«
    Sabine warf Sneijder einen flehenden Blick zu. »Ein faires Angebot.«

    Schließlich nickte Sneijder. »Gehen wir.«
    Kohler öffnete das Tor. Sie betraten die Kirche und eilten am Altar vorbei, hinter dem eine große Statue von Erzengel Michael in die Kuppel ragte. Neben der Sakristei führte ein enger Schacht aus Steinstufen in die Dunkelheit. Während sie hinabstiegen, erzählte Sabine von den Entführungen, Morden, Geschenken und Telefonrätseln in Köln, München, Dresden und Leipzig. Sie beschrieb die Tatorte, erläuterte die Todesursachen und schilderte die Verbindung der Opfer zu Carl Boni und zu den Geschichten von Struwwelpeter.
    Kohler löste seine Jack-Wolfskin-Jacke von der Hüfte und schlüpfte hinein. Hier unten war es deutlich kälter als oben. Sabine sah ihren eigenen Atem. Zum Glück trug sie einen Thermopulli. Es roch nach Kalk und Moder, wie in Carls abbruchreifem Haus. Warum hatte Kohler sie hierher geholt? Bestimmt war Carl auch für diesen Mord verantwortlich. Offensichtlich hatte er nicht nur ein Faible für alte Kirchen, sondern auch eine Vorliebe für heruntergekommene Gemäuer. Leitungsrohre verliefen an der Decke über dem Putz. Leere Fassungen ragten aus den Wänden. Die Glühlampen waren längst abmontiert worden. In dieser Gruft gab es keinen Strom mehr. Die Ermittler hatten Kabeltrommeln und Lampen aufgestellt. Der Weg in die Gruft führte an winzigen Zapfen entlang, die im Boden steckten, an denen Schnüre gespannt waren.
    »Bewegen Sie sich nur innerhalb dieses Trampelpfads«, warnte Kohler.
    Sabine kannte die Prozedur. Die Spurensicherer hatten diese Markierung für die Ermittler gesetzt, damit sie keine Spuren zerstörten.
    Sneijder blickte sich kurz zu Sabine um. »Alles okay?«
    Sie nickte und zog die Schnüre ihres Pullis enger. Mit einem knappen Handgriff richtete er ihren Kragen auf. Beinahe fürsorglich, als hätte er beschlossen, sie von nun an unter seine Fittiche zu nehmen. Trotzdem war er ein Arschloch, rief sie sich in Erinnerung.
Auch wenn er aufgehört hatte, sie wie ein unreifes Kind zu behandeln.
    »Wenn der Mörder Szenen aus dem Struwwelpeter-Buch inszeniert«, dachte Kohler laut, »dann hat er sich hier unten wohl von der Geschichte des Zappel-Philipps inspirieren lassen.«
    Sabine spürte, wie ihre Finger eiskalt wurden. »Was hat er der Frau angetan?«
    »Er hat sie bei lebendigem Leib einbetoniert.«
     
    Der Weg führte durch eine Krypta, in der vermoderte Holzsärge wahllos übereinandergestapelt lagen.
    Kohler deutete in eine Nische. »Der Pastor hat vorhin erklärt, dass die Särge der reichen Bürger und Adeligen noch aus der Pestzeit um 1680 stammen, als die Bevölkerung Wiens fast völlig ausgelöscht wurde.«
    Die meisten Steinnischen waren zugemauert. In einer Öffnung mit Rundbogen standen zwei Schubkarren, Wassereimer, Holzlatten und Särge, darüber lagen Spachteln, Klemmen und zerknülltes Papier von Zementsäcken. Dahinter türmten sich Sandhügel und rote Backsteinziegel.
    Kohler nickte zu dem Werkzeug. »Überreste der Renovierungsarbeiten vor zehn Jahren.«
    Sabine blickte zur rissigen Decke hinauf. »Das Gewölbe sieht nicht so aus, als wären die Arbeiter fertig geworden.«
    »Andernfalls wäre es längst eingestürzt und hätte die Kirche mit in die Tiefe gerissen. Das Gebäude senkt sich jedes Jahr um ein paar Millimeter.«
    Am Ende der Treppe führte ein Durchgang in eine Kammer. Die Metalltür stand offen. Eine schwere Kette mit Vorhängeschloss war von den Beamten geöffnet worden. Aus dem Gewölbe drangen Stimmen. Blitzlicht flammte

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