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Todesfrist

Todesfrist

Titel: Todesfrist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Gruber
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auf.
    Sneijder blieb vor dem Eingang stehen und deutete auf das Vorhängeschloss. »Das gleiche wie in Carls Keller.«
    Dieses Indiz hatte nicht viel zu bedeuten, doch mittlerweile
sprach zu viel gegen Carl Boni. Sabine blickte zwischen Kohler und Sneijder in den Raum. Dieser Abschnitt der Katakomben war etwa fünfzehn Quadratmeter groß. Rote Backsteinziegel. Kein Verputz. In der Mitte stand ein etwa zwei Meter hoher Betonpfeiler, aus dem zwei Plastikschläuche ragten, deren Enden in Blecheimern verschwanden. Von der Decke hing ein Flaschenzug aus Seilen und Holzrollen. Der übliche süßliche Duft von Verwesung fehlte. Stattdessen stank es entsetzlich nach Urin, Fäkalien, Erbrochenem und Verwesung.
    Scheinwerfer leuchteten alle Winkel des Tatorts aus. Ein Paravent aus Alufolie reflektierte das Licht. Der Mann von der Spurensicherung trug Latexhandschuhe und blaue Überzieher für die Schuhe. Das Ende seiner Krawatte steckte zwischen den Knöpfen seines prall gefüllten Hemdes. Er war schwer übergewichtig und konnte sich nur mit Mühe bücken. Soeben packte er eine Maurerkelle in eine Folie, nummerierte sie und markierte den Fundort mit einer Steckfahne. Danach fotografierte er den Ort und legte die Folie auf einen Berg von Tüten, der sich hinter ihm in der Ecke auftürmte.
    »Maurerkelle – keine Fingerabdrücke«, murmelte er ins Diktafon. »Rostflecken, morscher Griff. Entfernung zur Leiche …« Er las die Ziffern auf einem Maßband ab, das auf dem Boden lag. »Zwei Meter vierzig. Nummer 8.«
    »Gludowatz, können wir mal?«, rief Kohler in den Raum.
    Der Spurensicherer erhob sich schwerfällig. »Wie soll ich hier arbeiten?« Sein Doppelkinn wackelte. »Auf der Triester Straße während der Stoßzeit herrscht weniger Verkehr. Fasst nichts an, wenn’s geht! Und zieht das an!« Er drückte Kohler ein blaues Plastikbündel in die Hand. Dabei bemerkte Sabine die goldene Rolex an seinem Handgelenk.
    Kohler wartete, bis sich der Beamte an ihnen vorbeigezwängt hatte, dann streifte er die Plastiktüten über seine Schuhe und reichte die anderen an Sabine und Sneijder weiter.
    »Ihr Kollege heißt Gludowatz?«, flüsterte Sabine, nachdem der Spurensicherer außer Hörweite war.

    Kohler nickte. »Ein griesgrämiger Kauz. Er ist der Schwager des Polizeipräsidenten.«
    Nun wurde ihr einiges klar. »Trägt er deshalb eine goldene Uhr?«
    »Das hat andere Gründe.« Kohler griff in die Hosentasche und gab Sabine eine Dose Mentholcreme. Sie strich sich etwas davon unter die Nase.
    Sneijder wehrte ab. »Ich kenne den Geruch von Leichen.«
    »Ist nicht wegen der Leiche«, sagte Kohler. »Die Frau ist noch nicht lange tot. Nehmen Sie’s.«
    Sneijder strich sich die Creme unter die Nase. Dann folgten sie Kohler in das Gewölbe.
    »Oh, Gott!«, entfuhr es Sabine.
    Kohler lächelte traurig. Der Gestank aus den Blecheimern war trotz Mentholcreme unerträglich – und das, obwohl Sabine auf einem bayerischen Bauernhof zwischen Kühen, Schweinen und Hühnern aufgewachsen war.
    Sie ging über den abgesteckten Pfad um die Säule herum und wich dabei der Kette aus, die von der Decke baumelte. An deren Ende hing ein Spiegel, der bestimmt nicht zur Ausrüstung des Spurensicherers gehörte. Am Sockel der Betonsäule stand eine geöffnete Arzttasche. Hinter dem Sockel kam eine Frau im weißen Kittel zum Vorschein, die mit Skalpell und Spiegelbesteck die Leiche untersuchte. Diese Arbeit konnte nur jetzt getan werden. Hatten die Kripotechniker die Leiche erst einmal aus dem Betonblock gefräst, gab es nur noch zentimeterdicke Spuren von Zementstaub.
    »Doktor Irene Nicinsky«, stellte Kohler die Frau vor.
    »Yep.« Die Ärztin blickte nicht auf. Sie war groß, hatte ein Gesicht voller Sommersprossen und einen langen, geflochtenen blonden Zopf. »Du schleppst ständig neue Leute hier runter. Ich komme mir vor wie bei einer Führung durch Schönbrunn«, sagte sie trocken.
    »Kollegen vom BKA Wiesbaden und der Münchner Kripo«, stellte Kohler sie vor.

    »Wenn du es für richtig hältst.« Sie klemmte sich eine kleine Stabtaschenlampe zwischen die Zähne. »Dein Chef hat sicher Verständnis dafür, dass deine Besucher hier alles zertrampeln«, nuschelte sie.
    Überraschenderweise sagte Sneijder kein Wort. Sabine trat neben die Pathologin und blickte an ihr vorbei. In Kopfhöhe ragte ein Gesicht aus dem Betonblock. Der Strahl der Taschenlampe tanzte über das Antlitz der Toten. Das Fleisch um die Wangenknochen war bereits aufgedunsen.

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