Todesfrist
und deine Privatpraxis in Grießkirchen führst.«
»Ich mag keine Veränderungen.«
»Ich weiß. Auf der Seite ist immer noch das alte Foto aus Ibiza zu sehen.«
Oh Gott, dieses Bild! Ben hatte es vor sechs Jahren während eines Urlaubs geknipst, als der Wind wie ein Eilzug durch ihr langes schwarzes Haar gefahren war. Sie spürte, wie es in ihrer Brust warm wurde.
»Ich trage die Aufnahme immer noch in meiner Brieftasche.« Er lächelte einen Augenblick, dann presste er die Lippen zusammen. »Warum hast du das Bild nie aktualisiert?«
»Es ist hübsch, ich mag es.«
»So hübsch ist es auch wieder nicht.«
»Du Schuft!« Sie boxte ihn in die Seite, und er ächzte gekünstelt auf. Für einen Moment war es wie früher, als sie noch nicht mit Frank verheiratet gewesen war.
Da betraten Sneijder und Sabine die Küche. »Ich störe das junge Glück nur ungern«, sagte Sneijder, »aber Ihre Bedenkzeit ist um.«
Wie reizend!
Ben setzte einen Blick auf, als wollte er Sneijder erwürgen.
In diesem Moment vibrierte Helens Telefon. Sie blickte aufs Display. »Eine SMS.«
Ben und Sneijder traten näher.
»Cobenzlgasse«, las Helen vor. »Hausnummer 24. In einer halben Stunde.«
»Raffiniertes Klootzak!«, schimpfte Sneijder. »Schickt eine SMS, statt das Festnetz anzurufen. Wo ist die Cobenzlgasse?«
»In einer abgelegenen Gegend am westlichen Stadtrand Wiens«, erklärte Ben. »Carl Bonis Mutter lebte dort in einem kleinen Haus mit Vorgarten.« Er blickte auf die Uhr. »Wenn wir außen herum fahren, schaffen wir es in dreißig Minuten nach Döbling.«
Er wählte seine Dienststelle an, gab Carl Bonis und Rose Harmanns Beschreibung durch und schickte ein Observationsteam in die Cobenzlgasse. Danach führte er ein zweites Gespräch. »Okay«, sagte er, nachdem er das Handy weggesteckt hatte. »Die Zufahrten zur Cobenzlgasse sind in zehn Minuten großräumig abgeriegelt. Das Einsatzkommando der Wega wird in fünfundzwanzig Minuten dort eintreffen und wartet auf den Befehl zuzuschlagen.«
»Fünfundzwanzig Minuten?« Sneijder blickte auf die Uhr. »Es geht um Mord und bewaffnete Geiselnahme, und Ihre Kollegen haben ein Tempo drauf, dagegen ist ein totes Opossum noch lebhaft!« Er ließ die Nackenwirbel knacken, als wollte er seinen Frust abbauen. Dann wandte er sich an Helen. »Nun?«
Sie mochte Sneijders Zynismus nicht. Aber noch mehr hasste sie Frank, dessen Affäre sie in diese Lage gebracht hatte. »Ich mache es«, sagte sie tonlos.
Sneijder nickte erleichtert. »Sie sind nicht nur clever, sondern auch mutig. Danke.«
»Wie wird es ablaufen?«, fragte sie.
Ben seufzte unglücklich. Vor ihr konnte er seine Sorgen nicht verheimlichen. »Du steigst in deinen Wagen und fährst zu der angegebenen Adresse. Wir folgen dir unauffällig. Du wirst uns nicht bemerken.«
Sie warf ihm einen skeptischen Blick zu.
»Meine ehemaligen Kollegen von der Wega erwarten dich dort«, versuchte er sie zu beruhigen. »Dir kann eigentlich nichts passieren.«
Helen wusste, was »eigentlich« bedeutete – dass die Situation aus Dutzenden Gründen außer Kontrolle geraten konnte. Und genau diesen Zweifel sah sie in Sabines Blick.
34
Es war kurz nach halb sechs Uhr abends, als Ben, Sabine und Sneijder die Praxis von Dr. Rose Harmann verließen. Helen folgte ihnen und sperrte die Eingangstür zu. Die Beamten gingen zu Bens Dienstfahrzeug, sie zu ihrem Wagen. Dusty lief hinter ihr her. Regen lag in der Luft. Wegen der Gewitterwolken war es bereits stockdunkel – und das Ende Mai, dachte sie.
Sie öffnete die Tür und blickte zu Bens Auto hinüber, das etwa dreißig Meter hinter ihrem parkte. Dusty knurrte. »Keine Angst, mein Kleiner, die wissen, was sie tun.«
Dusty knurrte trotzdem. Sie hatte es auch nur gesagt, um sich selbst Mut zu machen. Rasch stieg sie in den Wagen und startete den Motor. Sogleich tönte Musik aus dem Radio. Dusty stand auf dem Bürgersteig und fletschte die Zähne.
»Aus!«, rief Helen und legte den Sicherheitsgurt an. »Na komm, rein mit dir!« Sie klopfte auf den Beifahrersitz. Schließlich sprang Dusty über sie hinweg, kläffte aber immer noch. Auf ein weiteres scharfes Kommando rollte er sich widerwillig auf dem Beifahrersitz zusammen. Doch seine Lefzen blieben hochgezogen und die Ohren angelegt. Was war bloß mit diesem Hund los?
Kaum hatte sie die Tür geschlossen, hörte sie das Geräusch auf dem Rücksitz. Dusty knurrte wieder, und da spürte sie die scharfe Messerspitze zwischen den Rippen.
Weitere Kostenlose Bücher