Todesfrist
hatte er ihn im Tierheim gefunden. Kinder hatten ihn während des Gewitters völlig verängstigt, durchnässt und schmutzig von der Straße aufgelesen und dorthin gebracht.
Ben wischte sich die Hände mit der Serviette ab und zog ein Päckchen aus der Tasche. »Das habe ich übrigens aus Wiesbaden erhalten.« Er öffnete es und holte ein nagelneues iPhone mit Zusatzakku heraus. Die Schutzhülle war rot, weiß und blau gestreift – in den Farben der niederländischen Flagge. »Weißt du, Sneijder ist gar kein so mieser Kerl.«
»Wenigstens hat er eine nette Kollegin.«
»Sie ist nicht seine Kollegin.«
Helen schmunzelte. »Wer weiß?«
»Ja, wer weiß.« Plötzlich langte er über den Tisch und umfasste zärtlich ihr Handgelenk.
Oh Gott, was kommt jetzt?
»Bitte verzeih mir mein Verhalten von vor drei Jahren.«
»Du warst ein Arschloch!«
»Es tut mir leid.«
Sogleich bereute sie, was sie gesagt hatte. »Ich denke oft an Flo. Ich weiß, es ist die Hölle, einen Sohn zu verlieren, aber ich wäre mit dir gemeinsam durch diese Hölle gegangen.«
»Er fehlt mir so, und es ist immer noch die Hölle …« Er schluckte. »Aber wir können sie immer noch gemeinsam durchstehen.«
Ihre Augen weiteten sich. Dieses Angebot kam überraschend. Sie wohnte mit Dusty erst seit einer Woche allein in dem Haus in Grießkirchen. »Ich … ja, eigentlich …«
»Überleg es dir in Ruhe«, schlug er vor.
Das habe ich längst getan!
Monika machte zwei Tassen heißen Kakao und setzte sich zu Sabine auf die Wohnzimmercouch. »Du hast mir noch nicht erzählt, wie du Mutters Mörder finden konntest.«
Es war elf Uhr nachts. Kerstin, Connie und Fiona schliefen längst in ihrem großen Doppelbett. Vermutlich träumten sie von einem neuen Einsatz mit Helikoptern, Suchhunden und ihrer Spezialausrüstung.
Sabine zog die Beine hoch, rollte sich am Ende der Couch zusammen und nippte an der Schale. »Durch die Klassenfotos auf Mutters Dachboden.« Sie erzählte ihrer Schwester die ganze Geschichte.
»Mutters Klassenfotos also«, sinnierte Monika. »Vater hat mir übrigens bei der Räumung der Wohnung geholfen. Er hat Amtswege erledigt und sich um die Kinder gekümmert.«
Sabine wusste, dass Gabriel, Monikas Exmann, keine große Hilfe gewesen war. Darum war sie froh, als sich ihr Vater letzte Woche
ein Hotelzimmer in München genommen hatte. Während er und Monika Mutters Beerdigung organisiert hatten, wäre Sabine fast vom Dienst suspendiert worden. Sie war noch drei Tage in Wien festgesessen, hatte zahlreiche Gespräche mit dem Beamten des Wiener BKA hinter sich gebracht und war anschließend von Staatsanwalt Fuhrmann und dem Münchner LKA vernommen worden. Im Grunde war die ganze Sache für sie noch glimpflich ausgegangen, da kein konkreter Tatverdacht gegen sie vorlag. Obwohl sie Carl Boni gefunden und zur Strecke gebracht hatte, durfte sie mit keiner Belobigung rechnen. Sie konnte von Glück sagen, dass sie ihren Job beim Kriminaldauerdienst behalten durfte.
»Ach ja.« Monika kramte aus dem Zeitschriftenfach des Couchtisches ein Paket mit gelber Schleife und blauem Geschenkpapier hervor. »Das haben wir in Mutters Wohnung gefunden. Ist von Mama, für dich. Morgen ist dein Geburtstag. Alles Gute.« Sie gab ihrer Schwester einen Kuss.
»Danke.« Sabine drückte das Paket an die Brust. »Hasst du Vater immer noch?«
Monikas Augen wurden wässrig. »Weißt du eigentlich, wie es vor zehn Jahren zum Brand in der Kölner Grundschule gekommen ist?«
Verblüfft schüttelte Sabine den Kopf. Es war doch sonst nicht Monis Art, das Thema zu wechseln.
Monika zog die langen Beine auf die Couch. »Vater hat es mir erzählt. Eigentlich hatte er Mutter versprochen, nie darüber zu reden, doch nach ihrem Tod ist dieser Schwur hinfällig geworden.« Sie ließ den Kakao in der Tasse kreisen. »Eines Abends besuchte er Mutter in der Schule. Er wusste, dass sie Klassenarbeiten korrigierte. Tja, und da überraschte er sie im Direktorenzimmer mit einer anderen Lehrerin. Es kam zum Streit. Die Kerzen für die romantische Stimmung fielen bei dem Handgemenge um, und das Feuer brach aus. In jener Nacht kamen unsere Eltern rußgeschwärzt heim. Der Brand wurde als Unfall vertuscht. Den Rest kennst du ja.«
Sabine hatte schon immer etwas Ähnliches vermutet. Aber eine Lehrerin? »Und du dachtest, Vater hatte ein Verhältnis.«
»In Wahrheit war es umgekehrt«, seufzte Monika. »All die Jahre habe ich ihn ignoriert und ihm seine Enkeltöchter
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