Todesfrist
Affentanz! Aber das hatte ja so kommen müssen.
Demnächst würde der Papst im Münchner Dom eine Messe lesen. Die Debatte über Kirchenaustritte wegen Fällen von Kindesmissbrauch in der katholischen Kirche brodelte auf ihrem Höhepunkt. Gerade in Bayern. Wenn die Presse solche Schlagzeilen verbreitete, gerieten die Vertreter von Kirche und Politik in Panik.
Damit war ihr Vater zur Marionette in einem Ränkespiel geworden, in dem Kirche und profilierungssüchtige Politiker auf eine rasche Festnahme drängten.
Nachdem Sabine die Daten eines Autodiebstahls in der Innenstadt aufgenommen hatte, telefonierte sie mit ihrer Schwester. Sie trafen sich kurz in Monikas Wohnung, und Sabine erzählte ihr, was sie wusste. Ihre Schwester hatte in der Nacht zwar kein Auge zugetan, aber sie nahm die Details des Mordes besser auf als erwartet. Anschließend ging Sabine in die Kantine des Reviers. Sie brachte nur einen starken Kaffee hinunter und war so aufgekratzt, dass sie wie ein angeschossener Kojote im Korridor auf und ab lief. Zwischendurch loggte sie sich immer wieder mit Eriks Code in Daedalos ein, doch die Abfrage lief und lief, ohne dass der Balken je die 99% überschritt. Vermutlich war das Mistding abgestürzt.
Als sie die Bildschirmanzeige erneut aktualisierte, schrieb der PC ein lapidares: Ihre Zugriffsberechtigung wurde gesperrt. Danach kam sie weder mit Eriks Passwort noch mit dessen Kennnummer in das Programm. Sabine stieg die Hitze vom Rückgrat in den Kopf, und ihre Handflächen wurden feucht. So ein verdammter Kuhdreck!
Sie drückte die Taste für die Kurzwahl zu Eriks Büro in Wiesbaden. Auf dem Display sah sie, dass der Anruf umgeleitet wurde. Eine weibliche Stimme meldete sich aus der Zentrale. Sabine sagte, dass sie mit Kriminalkommissaranwärter Erik Dorfer sprechen wolle. Die Dame machte eine Pause. Dann war ein Knacken in der Leitung zu hören.
»Tut mir leid«, flötete sie. »Der Kollege ist heute nicht mehr im Dienst. Worum geht es? Kann ich Ihnen weiterhelfen?«
Nicht mehr im Dienst? Und das um acht Uhr früh.
»Danke.« Sabine legte auf.
An der roten Lampe auf dem Display ihres Telefons sah sie, dass Kolonowicz auf der Nebenstelle telefonierte. Ein externes Gespräch. Im nächsten Moment erlosch das Licht. Bevor er erneut zum Hörer greifen würde, stürmte Sabine in sein Büro. Er sah nicht gut aus. Der Krawattenknoten saß locker, und das senffarbene Haar hing ihm verschwitzt ins Gesicht. Er stemmte die mächtigen Arme auf den Schreibtisch und stützte das Kinn auf. Die Hemdsärmel waren aufgerollt.
»Was Neues vom Staatsanwalt?«, fragte sie.
Er blähte die Wangen auf. »Du kannst dir nicht vorstellen, wie die da oben Gas geben.«
Sabine dachte an den bevorstehenden Papstbesuch. »Die stehen unter Druck.«
»Hochdruck wäre noch milde ausgedrückt«, sagte Kolonowicz. »Mittlerweile gibt es fünf Verdächtige. Dein Vater ist einer davon. Außerdem wurde die Kölner Kripo hinzugezogen. Der Richter hat soeben den Durchsuchungsbeschluss für die Wohnung deines Vaters genehmigt.«
Sabines Gedanken tanzten wie wilde Derwische. Die Kollegen würden das Tintenfässchen mit Vaters Fingerabdrücken finden!
»Ich muss mit den Kollegen von der Münchner Mordgruppe reden«, drängte sie.
Kolonowicz blähte erneut die Wangen auf. Dann fixierte er Sabine. »Lüg mich nicht an! Ich würde es an deinem Blick erkennen. Verheimlicht dein Vater etwas?«
Wenn sie jemandem vertrauen konnte, dann ihren Kollegen. Sie waren ein gutes Team. Sabine nickte.
»Auch das noch!« Kolonowicz wischte sich übers Gesicht. »Die Münchner Kripo ermittelt nicht mehr. Wegen der besonderen Umstände hat der Staatsanwalt mit dem LKA gesprochen, und die haben den Fall an sich gezogen.«
Sabine wurde schwarz vor Augen. Sie kannte die Methoden der Kollegen vom Landeskriminalamt. Gegen die waren sogar die Beamten der Mordgruppe ein zimperlicher Haufen. Nach der Wohnungsdurchsuchung würden diese Typen ein Geständnis aus ihrem Vater pressen, bevor er Piep sagen konnte.
6
Dusty hatte sich beruhigt und bis zum Morgen nicht mehr gebellt. Dennoch hatte Helen nicht wieder einschlafen können. Müde betrat sie mit einem Tablett die Terrasse und setzte sich auf den Gartenstuhl. Soeben liefen die Nachrichten im Radio. Der übliche Stau auf der Südost-Tangente nach Wien. Gott, war sie froh, dass sie nicht in der Stadt arbeiten musste, sondern ihre Praxis in Grießkirchen führte. Ihre ersten Klienten – eine Mutter mit
Weitere Kostenlose Bücher