Todesfrist
ersten Ärger vergehen lassen, und erst dann den Mund aufmachen. Sie begann zu zählen. Als sie bei drei angelangt war, stand nur noch ihr kleiner blauer Toyota im Carport. Kies spritzte über die Zufahrt. Frank schoss mit dem Lamborghini im Rückwärtsgang zur Einfahrt, fuhr zügig am Briefkasten vorbei und wendete auf der Straße.
Statt ihr zu winken, trat er aufs Gas. Weg war er!
»So ein Arsch!«, fluchte sie.
Immerhin war es sein Geburtstagsfest, das ausgerechnet an einem Mittwoch auf ihrem Anwesen stattfinden sollte. Typisch! Die Gäste mussten ihre Termine wieder mal nach ihm richten. Er hatte ihr versprochen, sich um alles zu kümmern und ihr am Tag der Feier behilflich zu sein. Darauf war sie gespannt! Sie konnte ja so toll organisieren und mit Menschen umgehen. Er war nicht gerade der einfühlsame Typ und verhörte nur Verbrecher – sie hingegen redete mit den Menschen. Obwohl sie erst seit Kurzem verheiratet waren, kriselte es immer öfter. Frank war anfangs sehr aufmerksam gewesen, entpuppte sich aber als Lebemann, der immer weniger Rücksicht auf Helens Bedürfnisse nahm.
Frank ist ein wahrer Gentleman, die perfekte optische Ergänzung zu dir, behaupteten ihre Freundinnen. Aber keine von denen wusste, wie er wirklich war. Eine seiner größten Fähigkeiten bestand darin, alles in letzter Sekunde zu delegieren. Okay! Durchatmen! Du kannst es sowieso nicht ändern.
Sie stieß einen lauten Piff aus. »Dusty! Frühstück! Es gibt Speck und Eier!«
Normalerweise kam der Jack-Russell-Terrier angeflitzt, sobald sie nach ihm pfiff. Doch diesmal keine Spur von ihm. Sie stocherte im Müsli herum und warf einen Blick auf die Gästeliste. Wen musste sie anrufen? Rechtsanwalt Seisner, Dr. Henrich vom Gericht, drei von Franks Arbeitskolleginnen, zwei befreundete Dozenten von der Uni, einen ehemaligen Schulfreund und … Helen stockte der Atem.
Ben Kohler.
Hinter seinem Namen befand sich ein Häkchen. Das bedeutete, er würde Mittwochabend kommen. Damit würde sie bei dieser Feier ein Wechselbad an Gefühlen erwarten. Wie sollte sie ihm gegenübertreten? Vor allem … wie würde er sich verhalten? Immerhin hatten sie sich zuletzt vor drei Jahren gesehen, und zwischen ihnen war vieles unausgesprochen geblieben. Zu jener Zeit war sie noch für die Kripo als Profilerin tätig gewesen. Doch das
hatte vor drei Jahren mit einem Paukenschlag geendet – ebenso wie ihre Beziehung mit Ben. Oh Gott, Ben. Tränen traten ihr in die Augen, als die Erinnerung an seinen Sohn hochkam.
Sie hatte Ben kennengelernt, als er von der Spezialeinheit Wega, dem Einsatzkommando der Wiener Polizei, zur Kripo gewechselt war. Der vernünftigste Schritt, den ein alleinerziehender Vater machen konnte. Mittlerweile war er beim Morddezernat bestimmt Chefinspektor. Offensichtlich arbeitete er mit Frank in dessen Eigenschaft als Staatsanwalt zusammen. Würde sich Frank daran erinnern, dass Helen früher mit Ben zusammen gewesen war? Bestimmt! Frank vergaß nie etwas – und so etwas schon gar nicht. Bestimmt wusste er auch, dass Bens Sohn vor drei Jahren gestorben war – ein weiterer Grund, weshalb ihre Beziehung damals zu Bruch gegangen war. Florians Tod hatte Helen mindestens genauso getroffen, wenn nicht sogar mehr. Sie hatte Flo abgöttisch geliebt. Vielleicht, weil sie selbst keine Kinder bekommen konnte.
Ihr Handy läutete. Sie zuckte zusammen. Unbekannter Teilnehmer. Gedankenverloren griff sie zum Telefon.
»Ja?«
Sie hörte nur schweres Atmen.
»Hallo?«, fragte sie. »Frank, bist du das?«
Leises Atmen. »Frank?«, wiederholte der Anrufer. »Ist das Ihr Mann?« Seine Stimme klang elektronisch verzerrt.
Helens Herzschlag beschleunigte. Sie antwortete nicht.
»Sind Sie allein, Frau Doktor? Ist Frank weg?«, wollte der Mann wissen.
»Wer spricht da?«, fragte sie, bemüht, ihrer Stimme einen sicheren Klang zu geben.
»Wenn Sie herausfinden, wen ich entführt habe und warum, bleibt die Person am Leben. Wenn nicht – stirbt sie. Ihnen bleiben achtundvierzig Stunden.«
»Wie bitte?« Sie musste sich verhört haben.
Auf der anderen Seite der Leitung waren nur Atemgeräusche
zu hören. Helen ließ die Drohung eine Weile auf sich wirken. Noch wusste sie nicht, ob sich jemand einen üblen Scherz mit ihr erlaubte oder ob sie es mit einem Verrückten zu tun hatte.
»Als Beweis, dass ich es ernst meine«, fuhr der Mann fort, »habe ich Ihnen ein Geschenk hinterlassen.«
»Ein Geschenk?«, wiederholte sie. Unwillkürlich
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