Todesfrist
Flugzeug. Doch überraschenderweise händigte Sneijder dem Mann das Buch kommentarlos aus.
Sabine warf einen Blick auf das Cover. Eine Biografie der Schriftstellerin Brigitte Schwaiger. Ein Lesezeichen steckte im ersten Drittel des Bandes, einige Seiten waren an den Ecken eingeknickt und auf der Innenseite befand sich ein Stempel mit Sneijders Namen. Sabine erkannte sogar eine Ex-libris-Nummer: 398. Darunter befand sich eine handschriftliche Widmung.
»Verzeihen Sie bitte«, entschuldigte sich der Detektiv und händigte Sneijder das Buch aus.
Er nahm es wortlos an sich und stopfte es in eine Außentasche des Koffers. Dann gingen sie weiter.
»Lesen Sie nur Biografien?«, fragte Sabine.
»Hauptsächlich. Schwaiger hat sich in der Donau ertränkt.«
»Ähnlich wie Virginia Woolf«, stellte Sabine fest. »Fasziniert Sie der Suizidgedanke?«
»In der Psychiatrie hatte Schwaiger oft vom kürzeren Weg gesprochen, den sie wählen wolle. Sie haben recht, der Freitod ist ein faszinierendes Thema.« Sneijder blickte sich um. Schließlich nickte er zum Ausgang, der zum Taxistand führte. Dort stand ein breitschultriger Mann mit kurzen blonden Haaren und einer schwarzen Jack-Wolfskin-Windjacke, der sich umsah. »Das ist unser Mann. Ermittler rieche ich auf hundert Meter.«
Sie gingen auf den Blonden zu.
»Ich nehme an, Sie sind Ben Kohler«, sagte Sneijder.
Der Mann drehte sich um und setzte einen fragenden Blick auf. »Maarten Sneijder?«
»Maarten S. Sneijder«, korrigierte er ihn. »Das ist meine Kollegin Sabine Nemez. BKA Wiesbaden und Kripo München.«
Sabine H. Nemez, sagte sie in Gedanken. Wie dämlich das klang!
Sie gaben sich die Hand. Kohler musterte sie. Sein Blick streifte für einen Augenblick ihre Silbersträhne und ihren Busen – aber nicht so lange, dass es unangenehm wurde. Sabine hoffte inständig, dass Sneijder höflich blieb. Sie wusste aus Erfahrung, wie allergisch Beamte auf ausländische Kollegen reagieren konnten – vor allem, wenn sie überheblich auftraten. Und dazu tendierte Sneijder ein klein wenig.
»Wollen Sie zum Revier?«, fragte Kohler.
»Was sollen wir dort?«, entgegnete Sneijder. »Wollen Sie uns auf eine Melange mit Sachertorterl einladen? Geh bitt’schön!«, imitierte er den Wiener Dialekt. »Ich habe Ihnen aus dem Flieger eine SMS geschrieben, was Sie vorbereiten sollen.«
Kohler hob die Schultern. »Pech gehabt. Die Mobilbox meines alten Handys ist randvoll. Außerdem ist der Akku meistens leer. Sie müssen wohl oder übel mit mir reden.«
»Gut, dann schlage ich vor, Sie setzen Ihren Hintern endlich in Bewegung und fahren uns direkt zu Carl Bonis Wohnung.«
Sabine atmete tief durch. Das war es dann wohl gewesen mit der Höflichkeit.
»Die Kollegen haben die Wohnung vor knapp zwei Stunden auf den Kopf gestellt«, erwiderte Kohler gefasst.
»Dann durchsuchen wir sie noch mal!«
»Wozu?«
»Aus Wichtigtuerei!«, antwortete Sneijder. »Nun bringen Sie meinen Koffer zu Ihrem Wagen, bevor wir noch mehr Zeit verlieren.«
Am liebsten wäre Sabine wieder einmal im Erdboden versunken. Besser, sie wäre zu Hause geblieben und hätte sich der Vernehmung durch die Kollegen ausgesetzt.
»Selbstverständlich.« Kohler blieb freundlich. »Gnädige Frau.« Er nahm Sabine die Reisetasche ab, schulterte sie und ging voraus. Sneijder mit seinem großen roten Samsonite ignorierte er großzügig.
War das der berühmte Wiener Charme? Sabine schmunzelte. Vielleicht war sie hier doch besser aufgehoben.
Nach etwa hundert Metern gelangten sie zu Kohlers Wagen, der in der Halteverbot-Zone vor der Ankunftshalle parkte. Seine Kripokarte lag auf der Armaturenablage. Sie zeichnete ihn als Chefinspektor aus. Kopfschüttelnd zerknüllte er den Strafzettel. Indessen wuchtete Sneijder sein Gepäckstück in den Kofferraum des Audi, das diesen fast zur Gänze ausfüllte. Er öffnete die Schnapper seines Koffers und zippte eine obenauf liegende schwarze Ledertasche auf. Darin befand sich ein braunes Lederholster mit einer silberglänzenden Glock 17. Er schlüpfte aus dem Sakko, legte das Schulterholster an und steckte ein Magazin in die Waffe.
Sabine fielen beinahe die Augen aus dem Kopf. Der Kerl war völlig verrückt! Er hatte seine Knarre ins Ausland mitgenommen.
»Sie sind mit einer Glock eingereist?«, stellte Kohler trocken fest, während er Sabines Reisetasche in den Kofferraum quetschte.
»Immer. Ich melde sie an, sie wird gesichert transportiert, und der Zoll händigt sie mir
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