Todesfrist
aus.«
»Ich kenne die Prozedur.« Kohler öffnete Sabine die Wagentür. Schmunzelnd nahm sie auf der Beifahrerseite Platz. Demnach musste Sneijder hinten sitzen.
»Ein schönes Modell, die Glock«, sagte Kohler.
»Stimmt«, pflichtete Sneijder ihm bei. »Obwohl sie aus Österreich stammt.«
Sabine verdrehte die Augen. Zwischen Kohler und Sneijder war es offenbar Liebe auf den ersten Blick. Aber der Österreicher gab bestimmt nicht klein bei wie ihr Kollege Simon. Die Männer stiegen in den Wagen, Kohler scherte aus der Parklücke und trat ordentlich aufs Gas.
»Früher habe ich mal mit einer niederländischen Militärpistole geschossen«, erzählte Kohler und warf einen Blick in den Rückspiegel zu Sneijder. »Aber die Königin Wilhelmina ist ein unzuverlässiges Modell. Großer Lauf, aber unpräzise und keine Feuerkraft dahinter.«
Oh Mann, dachte Sabine, das konnte eine Fahrt werden.
Sneijder reagierte nicht darauf. Er holte seinen Tabakbeutel aus der Tasche und rollte sich eine Zigarette. »Stört es Sie, wenn ich mir einen Glimmstängel drehe?«
»Nein, nur zu«, antwortete Kohler. »Aber es stört mich, wenn Sie ihn rauchen.«
»Sind Sie so etwas wie ein heiliger Samariter?«
Sabine blickte aus dem Fenster und betrachtete den Tower, an dem sie vorbeifuhren.
»Ich rieche das Gras bis nach vorne.«
»Sagen Sie bloß, Sie haben nie Gras geraucht?«
»Nicht im Dienst«, sagte Kohler. »Es verlangsamt die Zeit und verzögert die Reaktion.«
Sneijder beugte sich zwischen den Sitzen nach vorne. »Und es blendet die Umwelteinflüsse aus. Dadurch kristallisiert sich manchmal ein winziges Detail mit all seinen Facetten deutlich und übergroß heraus, das man sonst übersehen hätte. Es intensiviert assoziatives Denken.«
»Für Leute, die ein Brett vor dem Kopf haben, kann das ganz nützlich sein«, kommentierte Kohler.
»Jeder Mensch hat ein Brett vor dem Kopf, Kollege. Es kommt nur auf die Entfernung an.« Sneijder ließ sich in den Sitz zurückfallen. »Im Dienst ist der Stoff ganz hilfreich.«
»Damit machen Sie sich bei Ihren Vorgesetzten sicher beliebt.«
Sneijder schmunzelte träge. »Es gab noch nie einen Präsidenten beim BKA, der mich leiden konnte. Ich nehme es als Kompliment.«
Sabine drehte sich zu den Männern um. »Können wir mit dem Kindergartenzirkus aufhören und endlich vernünftig miteinander reden?«
Die beiden schwiegen.
Es war ein warmer Tag, und die Sonne beschien die näher rückende Skyline der Stadt. Sie befanden sich auf der Autobahn nach Wien. Kohler ließ das Seitenfenster hinunter, sodass warme Luft in den Wagen strömte.
»Haben Ihre Kollegen Carl Boni schon gefunden?«, fragte Sabine.
»Die Fahnder suchen ihn, doch er ist unauffindbar.« Kohler griff ins Handschuhfach und setzte sich eine schmale Sonnenbrille auf. »Er ist seit knapp zwei Monaten nicht mehr zur Arbeit erschienen. Ruben & Söhne. Eine zwielichtige Autowerkstatt, die mit Schrottkarren handelt. Der alte Ruben hat das Fernbleiben seines Mechanikers nicht einmal gemeldet.«
»Verschwand Carls Mutter zur selben Zeit?«, fragte sie.
»Zwei Tage später. Womöglich sind beide untergetaucht.«
Sabine vermutete etwas völlig anderes.
Sneijder beugte sich wieder nach vorne. »Unwahrscheinlich. Aus Carl Bonis Umfeld sind in den letzten zwei Monaten vier Frauen entführt und kurz darauf ermordet worden. Zwei Lehrerinnen, eine Nachbarin und seine Tante. Vermutlich ist seine Mutter seit zwei Monaten tot, und Sie haben ihre Leiche nur noch nicht gefunden.«
»Was schlagen Sie vor?«, fragte Kohler.
»Wo wohnt er?«
»Im zweiten Bezirk, in der Lassallestraße, eine miese Gegend. In zwanzig Minuten sind wir dort.« Kohler lenkte den Wagen von der Autobahn hinunter und fuhr in eine Kreuzung, als die Ampel von Gelb auf Rot sprang. Er ignorierte das Hupen der anderen Lenker und steuerte den Wagen in eine scharfe Kurve, sodass Sneijders Gepäckstück im Kofferraum gegen die Seitenwand schlug.
»Nutzen wir die Zeit«, sagte Sneijder. »Klemmen Sie sich ans Telefon, und schicken Sie mehrere Suchtrupps raus. Die sollen die Katakomben des Stephansdoms und die Grüfte der Wiener Kirchen nach einer Leiche durchsuchen.«
Kohler warf ihm über den Rand der Sonnenbrille einen skeptischen Blick zu, dann griff er zum Handy. »Ich hoffe, Sie irren sich.«
Der zweite Bezirk lag zwischen Donau und Donaukanal und glich einer Insel. Die Wiener nannten diesen Stadtteil »Mesopotamien«, wie Kohler ihnen erklärte . Die
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