Todesfuge: Gerda und Otto Königs zweiter Fall (German Edition)
Anschlag hielten, bis sie sicher sein konnten, dass von dem Mann, der aufgestanden war, keine Gefahr ausging.
Herr Mangold verließ mit dem Heft in der Hand die Kirchenbank und verschwand in Richtung Treppenhaus. Otto beobachtete, wie die Scharfschützen sich wieder entspannten und in ihren Verstecken verschwanden. Auch er lehnte sich auf seinem Platz zurück und wandte sich dem Geschehen vorn im Altarraum zu. Der Chor stimmte gerade das Glaubensbekenntnis an und als Otto seinen Blick über die Sänger schweifen ließ, um seine Frau zu suchen, zuckte er zusammen. Gerda stand nicht mehr auf ihrem Platz!
***
CREDO
Ich glaube...
...nur noc h an die Gerechtigkeit, für die ich selbst sorgen werde. Ich bin verlassen und habe keinen Glauben mehr an eine Zukunft. Die Freude ist mir genommen und der Traum zerbrochen. Du wirst die Verantwortung tragen. Mach dich bereit!
...
Ich erwarte die Auferstehung der Toten,
und ein ewiges Leben. Amen.
***
Weil er merkte, dass Panik in ihm aufzusteigen drohte, ermahnte Otto sich selbst zur Ruhe. Er suchte die Reihen der Sänger erneut nach Gerda ab; es blieb dabei, sie war weg. Er hatte sich nicht getäuscht. Die Lücke, die seine Frau hinterlassen hatte, hatte sich schon fast wieder geschlossen. So einfach konnte doch niemand von der Bühne verschwinden! Am liebsten wäre Otto aufgestanden und hätte nachgesehen, wo Gerda geblieben war. Aber er zwang sich, sitzen zu bleiben, weil er ahnte, dass die Scharfschützen nach dem Fehlalarm durch Herrn Mangold jetzt sehr angespannt waren. Und er wollte nicht riskieren, dass er sich zur Zielscheibe eines nervösen Fingers am Abzug machte. Schließlich hatte er Gerda hoch und heilig versprochen, den Ball flach zu halten. Otto schloss die Augen; er hoffte, die Musik würde ihn ablenken können. Aber das Gotteslob der himmlischen Heerscharen, zu dem der Chor gerade sechsstimmig zu singen anhob, passte so überhaupt nicht zu Ottos Gefühlslage, er wollte das Konzert einfach schnell überstanden haben.
SANCTUS
Heilig, heilig, heilig,
Herr, Gott der Heerscharen.
Erfüllt sind Himmel und Erde
von deiner Herrlichkeit.
OSANNA, BENEDICTUS, AGNUS DEI ET DONA NOBIS PACEM
Hosanna in der Höhe!
Hochgelobt sei, der da kommt
im Namen des Herrn
Hosanna in der Höhe!
***
Ich komme, um zu richten. Das Blut, das für dich und für alle vergossen wird, es wird hinwegnehmen die Sünde. Das Blut wird den Bund auf ewig besiegeln. Ich sehne das Ende herbei, das mir Linderung bringen wird.
Noch ist es nicht so weit. So einfach geht das nicht, denn du bist noch nicht fertig mit deiner Arbeit. Alle wollen dich hören , dein großes Konzert, auch ich, bevor der letzte Vorhang fällt. Meine Worte haben dich nicht treffen können. Wer nicht hören will, muss fühlen. Und du wirst den Schmerz spüren, der dich lähmen wird. Hochmut kommt vor dem Fall!
Dein Schmerz wird brennen, so heiß wie meiner. Nicht einmal die Liebe hat über den Tod gesiegt. Traurige Welt, bereite dich auf einen Abschied vor!
Lamm Gottes,
das du trägst die Sünden der Welt,
erbarme dich unser.
Alle sollen es sehen, ich trete aus d einem Schatten hervor und zeige den Menschen dein wahres Gesicht. Du wirst niemanden mehr zu deinem Sklaven machen. Nicht mich, nicht die Musik und keinen anderen Menschen. Ich verachte deine scheinheilige Verlogenheit! Durch mich wird sie offenbar, das ist mein Vermächtnis!
***
Für Ottos Geschmack zog sich das Konzert ziemlich in die Länge. Hoffentlich war Gerda nichts passiert! Otto hatte Sorge, dass seine Frau sich vielleicht doch zu einem waghalsigen Alleingang hatte hinreißen lassen, um den Täter zu überführen.
Was war mit Georg? Hatte er seine Nachricht inzwischen erhalten und entsprechend reagiert? Otto wartete auf ein Zeichen des Hauptkommissars, wusste allerdings auch nicht, wie das aussehen würde. Blieb nur noch Wellensteins Bruder, den er beobachten konnte. Sang der wirklich wie alle anderen? Hatte er beide Hände an seinem Notenheft? Was war mit den restlichen Sängern, verhielt sich da jemand auffällig, guckte nervös oder verpasste vielleicht einen Einsatz? Otto schaute in jedes einzelne Gesicht, fand jedoch nichts Verdächtiges. Nur den Mann, der oberhalb von Ansgar Wellenstein stand, kannte er nicht. War der schon immer in der Kantorei gewesen? Gerda hatte jedenfalls nichts von einem Neuzugang erzählt. Otto beobachtete den Mann und fand, dass er sich seltsam
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