Todesfuge: Gerda und Otto Königs zweiter Fall (German Edition)
auf ein vielfältiges und erfolgreiches Schaffen zurückblicken. Das heutige Jubiläumskonzert findet anlässlich seines siebzigsten Geburtstags statt. Wir senden jetzt einen Life-Mitschnitt der h-Moll-Messe aus der Wallfahrtskirche St. Marien in Bärlingen. Es singt die Bärlinger Kantorei unter der Leitung von Hans-Peter Wellenstein, begleitet von dem Consortium musicum virngrundiensis.“
KYRIE
Herr, erbarme dich.
Christus, erbarme dich.
Herr, erbarme dich.
***
Wo zum Teufel war Georg? Otto schaute sich unauffällig um. Er hatte kein Ohr mehr für Johann Sebastian Bachs Messe, die laut Programmheft zu seinen Lebzeiten aufgrund ihres enormen Schwierigkeitsgrades gar nicht vollständig, sondern nur ein Einzelteilen aufgeführt worden war. Es war sicher erhebend für den Kenner, dass Bach die theologische Aussage des lateinischen Textes in eine Sprache der Musik umgesetzt hatte und es so zu einer innigen Verflechtung von Text und Musik kommt. Aber die ganzen musiktheoretischen Anmerkungen in dem Programmheft, das ihm Gerda noch in die Hand gedrückt hatte, interessierten Otto nicht. Er brauchte den Hauptkommissar. Und er brauchte ihn jetzt. Er musste ihm unbedingt von seiner Beobachtung berichten. In der anderen Bankreihe entdeckte Otto etwas weiter hinten Georgs Mutter. Gerlinde Haller hatte die Augen geschlossen und hielt ihren Begleiter an der Hand gefasst.
GLORIA
Ehre sei Gott in der Höhe!
Und Friede auf Erden den Menschen,
die guten Willens sind.
Du wirst keinen Frieden finden. Du hast nur einen Aufschub bekommen. Steig herunter von deinem Podest der Überheblichkeit. Wir sind viele, mehr als du glaubst.
Wir loben dich, wir preisen dich,
wir beten dich an, wir verherrlichen dich.
Du wirst uns nicht los und unsere Stimmen werden sich zu einem Chor erheben, der in deinen Ohren dröhnen wird. Du wirst das Jüngste Gericht herbeisehnen. Dir wird Gerechtigkeit widerfahren, das ist der einzige Trost, den ich in den Himmel schreien kann.
Wir sagen dir Dank
Wegen deiner großen Herrlichkeit .
Herr Gott, König des Himmels,
Gott, allmächtiger Vater,
eingeborener Sohn Jesus Christus,
Sohn des Vaters.
Der du trägst die Sünden der Welt,
erbarme dich unser.
Der du trägst die Sünden der Welt,
Erhöre unser Flehen.
***
Am Himmel zogen dunkle Wolken auf. Der Wetterbericht hatte für den Abend ein Gewitter vorausgesagt, dessen Vorboten sich schon deutlich zeigten. Wind war aufgekommen, die Bäume bogen sich und der Abenddämmerung war ihr warmes goldenes Licht abhanden gekommen. Ein blassgelber Himmel ließ bereits erahnen, dass sich etwas zusammenbraute. Wellenstein sollte es wie ein Blitzschlag spüren, er sollte vom Donner gerührt werden. Das war der Plan.
Es gibt kein Zurück. Du bist mein Schicksal und ich bin das deine. Jetzt schreibe ich die Geschichte fort. Alles wird ein Ende haben. Und das Ende wird meine Handschrift tragen.
Der du sitzest zur Rechten des Vaters
Erb arme dich unser.
Denn du allein bist heilig,
du allein der Herr,
du allein der höchste, Jesus Christus,
mit dem heiligen Geist
in der Herrlichkeit Gottes, des Vaters.
Amen .
So sei es. Mach dich bereit! Dein Engel kommt, um dich zu richten.
***
Otto war immer noch fest davon überzeugt, dass Ansgar Wellenstein nur auf einen geeigneten Augenblick für seinen Anschlag wartete. Er konnte nicht länger tatenlos bleiben. Weil er Georg nicht sah, musste er versuchen, dessen Mutter eine Nachricht zukommen zu lassen. Er hoffte, dass diese ihrem Sohn eine SMS schreiben würde. Vielleicht hatte auch ihr Begleiter eine Idee; als ehemaligem Kriminalbeamten dürfte ihm eine Lösung für das Problem zuzutrauen sein. Otto schrieb in sein Programmheft eine Notiz für Georg, notierte auf der Vorderseite den Namen von dessen Mutter und schickte das kleine Heft auf die Reise durch die Kirchenbänke. Die Leute schauten zwar entrüstet, als sie wie zu Schulzeiten zum Briefträger der geheimen Botschaft gemacht wurden, aber das Programmheft erreichte sein Ziel. Otto schaute sich um. Gerlinde Haller und Herr Mangold lasen seine Botschaft. Doch offensichtlich hatte Georgs Mutter kein Handy, denn ihr Begleiter erhob sich. Die Bewegung war abrupt und sofort gingen die Scharfschützen, die sich überall auf der Empore und in den Seitenkapellen versteckt hielten, in Position. Zum Glück bemerkte niemand der Konzertbesucher die Männer der Spezialeinheit, die ihre Waffen im
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