Todesfuge: Gerda und Otto Königs zweiter Fall (German Edition)
Helmen und kugelsicheren Westen hatten den Friseur beeindruckt. Sie würden schon auf seine Gerda aufpassen.
Das Gemurmel erstarb , als die Musiker hereinkamen. Otto verstand immer noch nicht, warum die Leute schon jetzt klatschten. Das Konzert hatte schließlich noch nicht einmal begonnen. Inzwischen kannte er sich aber mit den Gepflogenheiten aus. Er hielt sich zwischen den Arien und Chorälen zurück, auch wenn er seiner Begeisterung über eine berührende Darbietung gern spontan Luft gemacht hätte und applaudierte erst ganz zum Schluss, wie alle anderen auch.
Die Musiker nahmen Platz und begannen, ihre Instrumente zu stimmen, alle wild durcheinander. Auch das gehörte dazu, obwohl Otto fand, dass die Musiker diesen Job ruhig draußen erledigen könnten. Er wollte schließlich Musik hören, wenn schon der Konzertbesuch unumgänglich war. Als die Konzertmeisterin schließlich die Oboenspielerin bat, das „A“ vorzugeben, das die anderen Musiker - nach Instrumentengruppen geordnet - abnahmen, wusste Otto, dass er das lästige Vorgeplänkel gleich überstanden hatte.
Im Geiste ging er alle Möglichkeiten durch, die es seiner Meinung nach gab, um in die Kirche zu gelangen. Er kam zu dem Schluss, dass ein Attentat hier drinnen unmöglich war. Erstens war es undenkbar, unbemerkt in die Kirche zu gelangen und zweitens hatte Georg mit seinen Leuten die ganze Kirche gründlich durchsucht. Was aber war mit dem Chor? Otto hatte zwar gesehen, dass der Chor, als er zur Probe in die Kirche kam, durch die Sicherheitsschleuse gehen musste. Aber wie sah das kurz vor dem Konzert aus? Da betrat die Kantorei die Kirche für gewöhnlich durch den Seiteneingang der Sakristei. Otto wurde es heiß. Dort stand keine Sicherheitsschleuse! Zwischen der Probe und dem Konzert waren die Sänger noch einmal in das Exerzitienhaus gegangen und waren vorhin durch die Sakristei direkt in den Altarraum gelaufen und auf das Podest gestiegen. Otto bezweifelte, dass es den beiden Polizeibeamten, die an der Tür der Sakristei Position bezogen hatten, tatsächlich gelungen war, jeden Sänger ausreichend zu kontrollieren.
Otto war besorgt. Immerhin war Ansgar Wellenstein, der auf wunde rsame Weise seine Stimme wiedererlangt hatte und heute doch mitsang, einer ihrer Hauptverdächtigen. Es blieb Otto nichts anderes übrig, als Ruhe zu bewahren. Was hätte er auch tun können, jetzt da das Konzert gleich beginnen würde? Er nahm sich fest vor, den Bruder des Dirigenten nicht aus den Augen zu lassen. Wenn der etwas im Schilde führte, dann würde er sich vielleicht verraten. Hatte Gerda nicht erzählt, dass der Chor nur dank Ansgar Wellensteins pathetischer Rede davon zurückgehalten wurde, dem ersten Fluchtimpuls zu folgen? Der Apotheker hatte die Sänger aufgefordert, sich hinter ihren Dirigenten zu stellen, immerhin sei der bereit, sein eigenes Leben der Musik zu opfern.
Otto konnte es immer noch nicht glauben. Wer gab so einen Rat? Doch nur jemand, der unbedingt will, dass sich der eigene Bruder auf dem Dirigentenpult exponiert. Es war klar, Ansgar Wellenstein wollte verhindern, dass ihm der Chor einen Strich durch die Rechnung machte, denn ohne Chor kein Konzert, egal wie todesverachtend sich der Dirigent auch gab. Je länger er darüber nachdachte, desto verdächtiger fand Otto das Verhalten des Apothekers. Er beobachtete ihn genau. Wirkte Ansgar Wellenstein nicht nervös, seit er sich auf dem Podest aufgestellt hatte? Otto hatte gesehen, wie sich der Sänger bereits vor dem Beginn des Konzerts den Schweiß von der Stirn wischte und er glaubte zu erkennen, dass es dem Bruder des Dirigenten schwer fiel, still zu stehen. Sehr verdächtig! Hans-Peter Wellenstein dagegen wirkte wie versteinert; den Applaus des Publikums bei seinem Erscheinen schien er nicht wahrzunehmen. Gerda sah blass aus und hatte ihre Augen unverwandt auf den Dirigenten gerichtet. Sie wartete darauf, dass dieser den Taktstock hob.
***
„Hans-Peter Wellenstein, der Gründer der berühmten Bärlinger Kantorei, ist nach Engagements im In- und Ausland zu seinen Wurzeln zurückgekehrt. Heute Abend wird er mit dem Vokalensemble der Extraklasse, das inzwischen weit über die Landesgrenzen hinaus bekannt ist, Johann Sebastian Bachs h-Moll-Messe aufführen. Das Werk, an dem der Komponist mehr als zwei Jahrzehnte arbeitete und das man als sein musikalisches Vermächtnis, den Höhepunkt seiner Meisterschaft bezeichnen kann, ist ganz bewusst gewählt. Hans-Peter Wellenstein kann
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