Todesfuge: Gerda und Otto Königs zweiter Fall (German Edition)
nur entspannen und genoss das süße Nichtstun. Er konnte es nicht verstehen, dass Gerda so großen Spaß daran hatte, sich im Urlaub mit diesen düsteren Themen zu beschäftigen. Schließlich hatten sie diese Reise auch deshalb angetreten, um endlich Abstand von den Ereignissen der letzten Wochen zu bekommen.
Das Jubiläumskonzert lag jetzt drei Wochen zurück und Otto hatte die Tage gezählt, bis sie zu ihrer Reise aufgebrochen waren. Und jetzt wollte er am liebsten in Ruhe gelassen werden und nicht ständig mit den Niederungen der menschlichen Seele und den kriminellen Abgründen der Gesellschaft konfrontiert werden. Gerda empfand das offensichtlich anders, denn jedes Mal, wenn sie wieder ein Kapitel ihres Buches beendet hatte, drehte sie sich zu ihm und erzählte ihm detailliert von den schaurigen Fällen, die auf dem Seziertisch des bekannten Pathologen gelandet waren, aus dessen Feder das Buch stammte.
„Du, Otto, das ist jetzt auch wieder ein ganz spannender Mord. Stell dir vor, da hat man eine Leiche gefunden und“ - „Schätzle, jetzt genieß doch einfach mal die Sonne und verschone mich mit deinen Gruselgeschichten. Hat dir das ganze Theater in den letzten Wochen denn nicht gereicht? Musst du jetzt auch noch im Urlaub damit weitermachen?“ Otto hatte sich den Urlaub so schön vorgestellt und in sein Bild passte es einfach nicht, wenn er das Gefühl haben musste, im Liegestuhl nebenan läge gleich der nächste Tote und in der Kabine gegenüber hätten sich Miss Marple und Sherlock Holmes einquartiert. Er wollte seine Ruhe. Die hatte er sich verdient.
„Einverstanden, ich erspare dir die Fälle aus der Gerichtsmedizin. Ich wusste gar nicht, dass du so zart besaitet bist. Das Thema Wellenstein kann ich aber noch nicht abhaken. Ich muss einfach immer wieder daran denken.“
Otto drehte sich zu seiner Frau. „Was lässt dir denn keine Ruhe? Der Täter ist geschnappt und nach dem Konzert war der ganze Spuk doch endgültig vorbei. Wellenstein hat erkannt, dass du ihm quasi das Leben gerettet hast und sich mit dieser Reise auf sehr nette Art erkenntlich gezeigt. Jetzt ist doch alles wieder in Ordnung.“
„Über die Reise freue ich mich natürlich sehr und ich genieße sie auch, eben auf meine Art und Weise. Aber ich habe auch ein schlechtes Gewissen, weil wir nur hier sind, weil es Menschen gibt, die an Wellenstein zerbrochen sind. Verstehst du, was ich meine?“
„Ja, aber das eine hat mit dem anderen doch nichts zu tun. Pirchow zum Beispiel war so voller Hass auf Wellenstein, weil der die Existenz seines Sohnes und dessen Mutter immer verleugnet hat. Irgendwann wollte er nur noch Rache und hat sich entschlossen, den Dirigenten und dessen Familie auszulöschen. Er wollte die ganze Person Wellenstein vernichten. Auch wenn die Geschichte mit dem Graffiti eher wie ein Dummejungenstreich aussah, die Rufmordkampagne in der Presse und die verunstalteten Konzertplakate haben bereits eine deutlichere Handschrift getragen. Das war schon ein perfider Plan, den eigenen Vater - egal was man ihm vorwirft - auf dem Höhepunkt seines Erfolges eiskalt umbringen zu wollen.“
„Das hat mich auch erschreckt. Es war kein schöner Anblick, Pirchow auf frischer Tat zu ertappen. Ich werde manchmal noch nachts wach und sehe die Situation vor mir. Auf der anderen Seite fasziniert mich der Mann auch.“
Otto sah seine Frau erstaunt an. Die Krimilektüre hatte offensichtlich bleibende Schäden hinterlassen. Gerda ließ sich jedoch nicht aus dem Konzept bringen. „Die Morde zu begehen und immer ein Alibi zu haben, setzt doch eine enorme kriminelle Energie voraus. Die Tatwaffen konnte er sich schließlich auch nicht einfach so im Supermarkt besorgen. Das heißt, er musste jemanden kennen, der ihm eine Pistole und einen Sprengsatz besorgte. Außerdem musste er seine Taten akribisch planen und strategisch vorgehen. Nehmen wir nur mal den ersten Mord an Wellensteins Mutter.“
Otto konnte sich immer noch darüber entrüsten, dass jemand eine alte wehrlose Frau umgebracht hatte. Aber seine Frau wollte jetzt keine moralische Diskussion beginnen. Sie wollte den Fall noch einmal analysieren. Otto tat ihr den Gefallen, in der Hoffnung, die Akte Wellenstein dann endgültig schließen zu können. „Was ist mit der alten Dame?“, wollte er wissen.
„Kannst du dich noch an den Abend erinnern, an dem der Mord stattfand?“
Otto nickte, aber Gerda hatte gar keine Antwort erwartet.
„Wir waren im
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