Todesgarten
Ziehen in der Brust. Es war,
als könnte er plötzlich ihren Duft riechen. Ihre Umarmung spüren und ihre Wärme
in den Laken eines ihrer Hotelbetten. Es raubte ihm den Atem.
Was war nur geschehen zwischen ihnen? Was war passiert,
dass er ihretwegen so sehr litt? An welcher Stelle war ihre Affäre aus dem
Ruder gelaufen?
Lisa hatte sich gefasst. Mit einem Seitenblick vergewisserte
sie sich, dass Werner und die Kinder nicht herübersahen, dann trat sie zu ihm
hinter den Zierstrauch.
»Michael! Was machst du denn hier?«
»Ich ⦠ich hab eine Verabredung. Aber was ist mit dir?
Ich dachte, du bist auf den Malediven.«
Sie winkte ab. »Die Kleinen haben sich einen Virus
eingefangen. Wir mussten die Reise um ein paar Tage verschieben.«
Michael dachte daran, wie er nachts vor ihrem Fenster
gestanden und hinaufgesehen hatte, weil er dachte, sie wären schon fort. Er
konnte nur hoffen, dass Lisa nichts von diesen nächtlichen Observationen
wusste. Nach den vielen unerwünschten Anrufen würde sie sich wohl vollends
erdrückt fühlen.
»Ich hätte dich neulich nicht anrufen dürfen«, begann
er etwas hilflos. »Ich weià ja, dass du das nicht willst, wenn du mit deiner
Familie zusammen bist.«
Sie schüttelte den Kopf. »Michael. Du weiÃt, das ist
nicht das Problem.«
Sie war plötzlich ganz ruhig. In ihren Augen lag Traurigkeit.
Er starrte sie ungläubig an. Nicht jetzt! Nicht in
einer Bahnhofshalle! Nicht in diesem unwürdigen Versteck hinter dem Zierstrauch.
Bitte nicht jetzt.
»Ich werde dich nicht mehr auÃerhalb der Reihe anrufen,
Lisa. Ich werde dich überhaupt nicht mehr anrufen, wenn du es nicht willst.«
Seine Stimme brach. »Ich werde mich an die Regeln halten. Von jetzt an machen
wir es so, wie du es immer wolltest. Versprochen.«
Er spürte ihre Erschöpfung. All das, was diese Affäre
bei ihr hinterlassen hatte. Seine Zumutungen, die Grenzüberschreitungen, seine
Hilflosigkeit und seine Verliebtheit. Sie hatte die ganze Zeit über versucht,
das alles abzuwehren.
Sie wollte es ihm sagen. Es war vorbei. Aber dann
schüttelte sie den Kopf. »Ich muss zu Werner und den Kindern. Sie warten auf
mich.«
Sie hatte eine Entscheidung getroffen. Er konnte
nichts dagegen unternehmen. Ihm wurde schwindelig.
»Meldest du dich bei mir, wenn du wieder in Berlin
bist?«
»Ja, ich melde mich«, sagte sie, ohne ihn anzuschauen.
Dann trat sie hinter dem Zierstrauch hervor und ging mit schnellen Schritten
auf die McDonald-Filiale zu. Das Klackern ihrer Absätze war zu hören, bis sie
die Glastür aufdrückte und im Innern des Restaurants verschwand.
Es war eine Lüge. Eine glatte Lüge. Lisa hatte die ganze
Zeit über versucht, ihm ihre Wahrheit schonend beizubringen. Doch das Letzte,
was sie zu ihm gesagt hatte, war nicht mehr als eine dumme Lüge. Sie würde sich
nicht melden. Es war aus. Für immer.
Er taumelte ein paar Schritte zurück. Er wusste nicht
wohin. Wusste nicht, was er als Nächstes tun sollte. Ein Finger tippte an seine
Schulter. Er wandte sich wie ferngesteuert um. Da war Anna Proschinski. Sie sah
ihn an, als wäre er eine Erscheinung.
»Herr Schöne, geht es Ihnen nicht gut?«
Er holte Luft. Du musst dich zusammenreiÃen. Was immer
hier gerade geschehen ist, es darf keine Rolle spielen. Daniel. An ihn musst du
denken. An den Grund, weshalb sie mit dir sprechen will.
Eine Welle von Kopfschmerzen erfasste ihn. Das war ein
gutes Zeichen.
»Entschuldigen Sie«, sagte er. »Ich ⦠bin ein bisschen
angeschlagen.«
»Sie sehen grauenhaft aus. Was ist denn passiert?«
»Ich hab mir einen Virus eingefangen. Und ziemliche
Kopfschmerzen habe ich auch. Vielleicht hätte ich besser im Bett bleiben
sollen.«
»Wir können uns ein anderes Mal treffen. Vielleicht
geht es Ihnen morgen besser.«
»Nein, nein. Ist schon in Ordnung.«
»Kommen Sie. Dann trinken wir erst mal einen starken
Kaffee. Ich habe ein paar Aspirin dabei, die nehmen Sie am besten auch.«
Nach dem zweiten doppelten Espresso ging es ihm bereits
um einiges besser. Auch das Aspirin begann zu wirken. Er fühlte sich wie nach
einem Boxkampf, völlig erschöpft und mit schmerzenden Knochen. Dabei hatte er
nur ein kurzes Gespräch hinter einem Zierstrauch geführt.
Anna war zum Tresen gegangen und balancierte jetzt
zwei weitere Tassen zu ihrem
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