Todeshaus am Deich
versprach,
den Kollegen zu informieren, wenn die lila Pracht den Schlossgarten
überschwemmen würde. Dann wandte er sich den anderen Beamten im Büro zu.
»Das ist merkwürdig.
Die Spurensicherung hat keine Apfelreste in Schüttemanns Zimmer gefunden.«
»Das habe ich gleich
gesagt«, triumphierte Große Jäger. »An der Sache ist etwas faul.«
Der Oberkommissar
stand auf, stieß dabei gegen die Schreibtischkante und fluchte, weil der
Kaffeebecher überschwappte. Mit dem Hemdsärmel wischte er den feuchten Fleck
von der Tischplatte. »Komm«, presste er zwischen den Zähnen hervor, mit denen
er seine Zigarette hielt.
»Wohin?«
»Na! Zum
Altersheim.«
Christoph seufzte.
Wenn sich Große Jäger etwas in den Kopf gesetzt hatte, war er von seinem
Vorhaben nicht abzubringen. Auch mussten die Dinge bei ihm stets sofort in die
Tat umgesetzt werden.
Ebenso
selbstverständlich war es für den Oberkommissar, dass er sich hinter das
Lenkrad des Dienstkombis setzte. Auf der kurzen Wegstrecke von der
Polizeidirektion durch die Eisenbahnunterführung und gleich danach rechts ab in
die Simonsberger Straße schimpfte Große Jäger über das Fahrverhalten der
anderen Verkehrsteilnehmer, als hätte er es in seiner Umgebung nur mit
Kleinkriminellen zu tun.
Rechts ragten die
hässlichen grauen Silotürme des Hafens in die Höhe, während auf der linken
Seite die roten Backsteinhäuser der Siedlung Norderheverstraße ihnen die
Rückseiten zeigten. Ein Stück weiter lag, bereits mitten in der Marsch, das
Klärwerk. Dahinter erstreckte sich die weite Fläche der Köge. Dort, wo sich das
Auge früher ausruhen und die Unendlichkeit der Weite genießen konnte, kreisten
jetzt eine Vielzahl überdimensionaler Windkraftanlagen und störten die
Beschaulichkeit der sonst unberührt erscheinenden Landschaft.
An der Ecke der
»Rieke Reech«, einer Sackgasse, bog Große Jäger ab. Die schmale Straße säumten
ältere und jüngere Einfamilienhäuser in bunter Folge. Wer sich hier
niedergelassen hatte, liebte die Ruhe und Abgeschiedenheit dieses Ortes.
Am Ende des Weges,
direkt am Deich, lag der moderne Bau der Hauke-Haien-Residenz.
Auf der Bank vor dem
Eingang saßen zwei ältere Männer, obwohl es die Märzsonne noch an Wärme missen
ließ. Sie sahen die beiden Beamten neugierig an. Als die Polizisten die Bank
passierten und Christoph freundlich grüßte, hob der Ältere die Hand an die
Stirn. Es war mehr eine symbolische Handlung, da der Mann eine Schippermütze
trug, die ihn vor der Blendwirkung der Sonne schützte. Unter dem blauen
Mützenstoff quoll dichtes weißes Haar hervor. Beeindruckend war auch der
Backenbart, der an den Seiten fast bis zum Kinn hinunterreichte. Aus dem
sonnengegerbten Gesicht blinzelten zwei wache Augen hervor.
»Wohin wollen Sie
denn?«, fragte der Mann.
Die beiden Beamten
blieben stehen. Ehe Christoph antworten konnte, sagte Große Jäger: »In die
Küche. Wir sollen beim Erbsenzählen helfen.«
Der Mützenträger
stieß seinen Nachbarn mit dem Ellenbogen an und ließ ein wieherndes Lachen
hören. Dabei zeigte er sein Gebiss, das aus lauter Zahnstummeln bestand.
»Der ist gut, was,
Harry?«
Jetzt lachte auch
der andere, dessen dünnes graues Haar in Strähnen vom Kopf über die Ohren hing.
»Da freut sich die
Irina aber«, kam es aus dem mit ebenmäßigen weißen Zähnen verzierten Mund des
Mannes, der sich im Unterschied zu seinem Nachbarn ein Gebiss hatte verpassen
lassen.
»Wer ist Irina?«,
wollte Große Jäger wissen.
»Unsere Köksch«,
lachte der Senior und sah dann den Mützenträger an. »Der wird seine Freude
haben, was, Kapitän?« Dann wandte er sich wieder Große Jäger zu. »Kneif ihr
aber nich in Mors. Das is unser Revier. Mehr Spoos hebt wi ollen Knackers jo
nich mehr.«
Die beiden schlugen
sich vor Vergnügen die Hände auf die Schenkel, als Christoph und Große Jäger
weitergingen. Hinter ihrem Rücken hörten die Beamten, wie der Jüngere sagte: »Wetten, dass der Dicke nich bei ihr landen tut?«
Mit einem
Seitenblick nahm Christoph wahr, dass Große Jäger diesen Kommentar nicht spaßig
fand. Er liebte es überhaupt nicht, wenn ihn jemand »den Dicken« nannte.
Die Glastüren
öffneten sich automatisch und gaben den Eingang in das großzügige Foyer frei.
Eine kleine Sitzgruppe lud zum Verweilen ein. In der Mitte plätscherte ein
Springbrunnen. Pflanzenkübel gaben dem nüchternen Bau eine fast behagliche
Atmosphäre.
Aus einem verglasten
Quergang tauchte eine junge Frau in
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